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Channel: Individuum – anti-capitalism revisited
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Eine Welt voller Untertanen

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Ein Überblick über die Theorie des autoritären Charakters

Vortrag und Diskussion mit Jens Benicke

Donnerstag, 19. Januar 2017, 19. 30 Uhr, Stuttgart                                                 Geißstr.7, Stiftungssaal, 1. Stock

Weltweit befinden sich autoritäre Bewegungen auf dem Vormarsch; ob Islamismus, autokratische Staatsmänner oder sog. „rechtspopulistische“ Parteien. Liberale, Linke und Wissenschaft stehen diesem Ansturm hilflos gegenüber und fragen sich, wie sich diese erschreckenden Entwicklungen erklären lassen. Ihre altgedienten Gegenstrategien, wie Aufklärung, Skandalisierung oder Bildung laufen angesichts von Faktenresistenz und Verschwörungswahn ins Leere. Hier könnte ein Rückblick auf die Theorie der Autoritären Charakterstruktur, wie sie in erster Linie von der Kritischen Theorie erarbeitet wurde, hilfreich sein. Von Wissenschaft und Medien als „längst widerlegt und veraltet“ ad acta gelegt, bietet dieser Ansatz die Möglichkeit den grassierenden Wahnsinn auf (massen-)psychologischer und materialistischer Grundlage zu verstehen. Der Vortrag will einen kurzen Überblick über das Konzept der autoritären Persönlichkeiten bieten und eine Diskussion über deren Aktualität anstoßen.

Von Jens Benicke erschien 2016 die 2. überarbeitete Auflage von „Autorität und Charakter“  . Er promovierte 2009 mit „Von Adorno zu Mao. Die Rezeption der Kritischen Theorie und die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen deutschen Vergangenheit von der antiautoritären Fraktion der Studentenbewegung zu den K-Gruppen“

Eine Veranstaltung in Kooperation von Stiftung Geißstr.7 und Emanzipation und Frieden


„We’ve got a bigger problem now“

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Der Kleingeist und die Großmacht

von Redaktion Sachzwang FM

1979 erschien die Single „California über alles“, die erste Veröffentlichung der Dead Kennedys, dieser – seinerzeit neuartig – nicht nur musikalisch, sondern auch politisch äußerst angriffslustigen und scharfsinnigen Punkband. Gouverneur im Bundesstaat Kalifornien (vergleichbar mit einem Ministerpräsidenten hierzulande) war damals der linksliberale Jerry Brown. In satirischer Manier konstatiert die Band in dem Song, der längst ein Genre-Klassiker ist, eine hippieeske Formierung der Gesellschaft, macht sich über die aufdringliche Freundlichkeit von Browns Wählermilieu und penetranten Ökologismus lustig, über Meditations-, Lächel- und Entspannungszwang, über „Zen-Faschisten“ und eine in Jeans gekleidete Geheimpolizei. Der „big brother“ erlange nun in Gestalt von Blumenkindern die Macht, mit „Jogging für die Herrenrasse“; und vergast werde fortan mit „natürlich-biologischem Giftgas“ („organic poison gas“, „don’t you worry/it’s only a shower“). Die Ambitionen Browns auf die US-Präsidentschaft kommentieren die Dead Kennedys ebenso rüde: „I will be führer one day“. Daß die Anspielungen auf den NS natürlich maßlos überzogen und relativierend sind, – geschenkt. Punk war damals eben noch kein volkspädagogisches Bürgerbildungsprogramm mit Hüpfburg. Die Dead Kennedys formulierten vielmehr eine genuin linke Kritik an dem, was ein Jahrzehnt später political correctness heißen sollte.
Von 1967 bis 1975 war Browns Vorgänger als Gouverneur von Kalifornien, wo man seither ein Faible für schlechte Schauspieler als politisches Führungspersonal zu haben scheint, ein gewisser Ronald Reagan. Der hatte bekanntlich nicht nur Präsidentschaftsambitionen, sondern trat 1981 auch das höchste Amt der Vereinigten Staaten an. Aufgeweckten Beobachtern wie den Dead Kennedys schrillten die Alarmglocken. Und so wurde das Lied „California über alles“ – drei Jahre später – noch einmal aufgenommen, mit neuem Text und neuem, überaus treffenden Titel: „Jetzt haben wir ein größeres Problem“. War schon „California über alles“ ein morbider Flamenco mit dem fiebrig-kranken Muezzingesang Jello Biafras, so bricht mit „We’ve got a bigger problem now“ eine einzige musikalische Raserei los. „I am emperor Ronald Reagan/Born again with fascist cravings/Still, you made me president […] Vietnam won’t come back you say/Join the army or you will pay […] Welcome to 1984/Are you ready for the third world war?“. Gegen diese neue Qualität des Übels nimmt sich eben das Gefrotzel gegen die Hippies wie ein Gebalge im Sandkasten aus: We’ve got a bigger problem now.

Heute, Anfang 2017, wähnt man sich in einer Zeitreise: Der rechtskonservative Reagan eskalierte v.a. bis Mitte der 1980er Jahre sowohl innen- wie auch außenpolitisch die gesellschaftlichen Konflikte nach Kräften. Die von ihm betriebene aggressive Rüstungspolitik beschwor die Wiederkehr des Kalten Krieges der fünfziger Jahre herauf, bis ab 1985 dann ein gewisser Michail Gorbatschow auf internationaler Ebene zur Deeskalation antrat.

Nun ist Trump nicht Reagan, und die – heute kaum mehr vorstellbare, ans Apokalyptische gemahnende – nuklear waffenstrotzende Systemkonfrontation der frühen 80er Jahre bleibt mangels ideologischem Hauptfeind aus. Trump ist nicht Reagan, Trump ist (wenn seine Etikette Indikator genug ist) schlimmer.
Der Kleingeist an den Schalthebeln einer Großmacht, der das Ende der Diplomatie verkörpert, ist wirklich etwas qualitativ neues; bisher dachte man aus Erfahrung, daß nur Länder, die in der internationalen Konkurrenz unterliegen und darob im Staatsvolk einen schweren Minderwertigkeitskomplex entwickeln, zu äußerster politischer Aggressivität, sprich einer Faschisierung, imstande sind und eine Flucht nach vorne (denn nichts anderes ist der Isolationismus) antreten … Die historischen Beispiele wie Deutschland, Japan usw. sind bekannt.

Wer als ein Leben lang bornierter Unternehmer/Entrepreneur/Kapitalist die marktwirtschaftliche Konkurrenz heiligt, kann offenbar die eigenen nationalen Probleme nicht als systembedingt erkennen, das Reüssieren neuer Weltmacht-Kandidaten nüchtern zur Kenntnis nehmen und rational anerkennen, daß, wie immer schon, günstigere Produkte heimischen Produkten vorzuziehen sind. Nein: „China – they’re raping our economy!“, poltert Trump. Er hat wirklich den ökonomischen Sachverstand eines deutschen Milchbauern, der angesichts verfallender Preise noch mehr produziert, woraufhin, weil das alle tun, die Preise noch weiter sinken und – nach bäuerlicher Logik – in der Politik oder sonstwo ein Schuldiger gefunden werden muß („der Jude“ scheidet hier nur aus Gründen von Geschmack, Opportunität und Zeitgemäßheit aus).

Die Internationale der Wutbürger aller Länder scheint sich längst zusammenzurotten, wir schreiben das Jahr 10 nach der großen Krise. Dabei ist es bemerkenswert, wie paradox solche Allianzen eigentlich sind, denn rechten Standpunkten ist in ihrer regional oder national bornierten Partikularität notwendig eine gewisse Schizophrenie eingeschrieben: Einerseits ist da offenkundige Sympathie für einen wie Trump („so einen brauchen wir hier auch“), andererseits bleibt er doch – als Ausländer – Rivale und Konkurrent, dem man, als Deutscher, als Europäer oder sonstwie, „Paroli bieten“ müsse. Die rechtsdrehenden Ideologen bekommen diese Widersprüche aber subjektiv allemal unter einen Hut, ähnlich wie der paranoide Killer Anders Breivik, so anti-muslimisch er sich auch gebärdete, sämtliche Klischees eines eifernden Gotteskriegers und kulturalistischen Chauvinisten, bis hin zur herrischen Barttracht, erfüllt (Gerhard Scheit nannte dies treffend „Islamneid“).

Die Liberalen und Linken, vor allem die Deutschen, aber unken: Putin! Orban! Erdogan! Le Pen! Brexit! und jetzt noch Trump! Wobei sie notorisch übersehen, daß nicht das endlose Naserümpfen und Repetieren der Populisten-Namen das Problem benennt, geschweige denn löst. Das gebetsmühlenartige Aufzählen unappetitlicher Führergestalten, die eine „Polarisierung“ der Gesellschaft betrieben, das sind gleich zwei Verharmlosungen. Die Menschen, die solchen „Verführern“ „auf den Leim“ gingen (so die dritte Verharmlosung), tatsächlich aber der Humus sind, auf dem rechte Politik gedeiht, sie sind das Problem. Sie haben offensichtlich eine Disposition zu reaktionärer oder gar faschistischer Ideologie. Aber das wäre ja: Wählerschelte, dieselbe Kardinalsünde, die der dogmatische Sozialist Massenverachtung schimpft.
Putin! Orban! Erdogan! Le Pen! Brexit! und jetzt noch Trump! Deutschland unter Merkel aber sei einer der letzten humanistischen Felsen in der Brandung international anschwellenden Populismus‘, Deutsch-Europa eine Trutzburg der Zivilisation, umgeben von geschichtsvergessenen Völkern von Wählern, die aus „der Vergangenheit“ ja „nichts gelernt“ hätten – „wir“ aber schon. Wenn auch nicht ganz freiwillig, wie man wissen könnte.

Leider hängt die bisherige (relative) politische Stabilität hierzulande eher mit dem Status Deutschlands als Euro-Krisengewinnler zusammen, denn auch hier hat man nichts wesentliches gelernt, sonst wäre man nicht so selbstgefällig. Außerdem hat man offenbar vergessen, daß aufgeblasene Blender auch im ach so zivilisierten Deutschland die Massen faszinieren; nur die rechtzeitige Selbstdemontage des Barons Guttenberg konnte seinerzeit Schlimmeres verhindern. Trumps Triumph ist nun, das fällt nicht schwer zu prognostizieren, Wasser auf die Mühlen des Antiamerikanismus. Antiamerikanismus derer, die – als kulturbeflissene Europäer – immer schon gewußt haben wollen, daß „die Amis“ nicht ganz richtig ticken. Ihr Gedächtnis reicht zumeist nicht weiter als bis 1945 zurück, und das aus gutem Grund.

Den Leuten in Presse, Rundfunk- und Fernsehsendungen erklären, daß Trump bekloppt oder gefährlich ist (offenkundig ist er beides), hieße Eulen nach Athen tragen; das weiß eh jeder. Und die, die ihn nicht für beschränkt halten, ihn vielleicht sogar bewundern, – die erreicht man in aller Regel nicht mit einem öffentlich-demokratischen Medium („Lügenpresse! Systemmedien!“). Was also tun?

Katalogisierende Etiketten wie Rassismus, Sexismus, Antisemitismus, Populismus (so die linke Litanei) verlieren mit jeder anklebenden Benutzung des jeweiligen Verdikts ein bißchen ihrer Überzeugungs- und Klebekraft. Sie dienen in der Regel der Selbstvergewisserung dessen, der sie klebt, und bieten darüberhinaus keinen Erkenntnisgewinn. Kritik muß sich vielmehr solchem Ticketdenken verweigern, sich jedesmal neu um Erklärung, gedankliche Durchdringung und nicht bloß Benennung der kritikwürdigen Anschauungen bemühen. Das beständige Kleben ist auch journalistisch-handwerklich nicht praktikabel, geht es doch üblicherweise mit automatisiert-autistischer und langweiliger Kampagnenhuberei einher, die sich in aller Regel in einem preaching to the converted erschöpft und das noch nicht einmal bemerkt. „Stetes Wasser höhlt den Stein“, damit pflegen die ermüdeten (und ermüdenden) Protagonisten ihr unerbauliches Tun sinnstiftend zu adeln. Weil man offenbar die immergleichen Lamentos nur oft genug wiederholen muß, um ihrer fragwürdigen Überzeugungskraft irgendwann selbst zu erliegen.

Und obwohl die Rede von der (diesmal politischen) „Krise als Chance“, die manische Propaganda, daß man „die Not zur Tugend machen“ müsse, nichts als erfahrungsresistenter Motivationstrainer-Sprech ist, läßt sich nicht ausschließen, daß ein dermaßen krasser Stilbruch, wie ihn der aufgeblasene Kasper Trump personifiziert, Menschen zur Raison bringen kann. Ein Stilbruch im Führungspersonal einer Weltmacht, der ja auch, und mehr noch, ein inhaltlicher ist, zu befürchten ist nun schließlich eine weltpolitische Zäsur.
Vielleicht entstehen neue, diesmal ernstzunehmende Subkulturen, eine politisierte Jugendbewegung (die keine Farce ist), eine nennenswerte gesellschaftliche Opposition; irgendetwas, das die unheilvolle gesellschaftliche Totalität aufknacken kann. Vielleicht. Wahrscheinlich ist das nach den Erfahrungen der letzten dreißig Jahre nicht.

„Wo ist die Oppostitionspartei, die nicht von ihren regierenden Gegnern als“ fünfte Kolonne Moskaus oder Washingtons, Pekings oder Tel Avivs „verschrien worden wäre“? Finanzierung oder Beeinflussung der „heimischen“ Politik „aus dem Ausland“ lautete früher – und auch heute noch in vielen Ländern – der regelmäßige Vorwurf, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen („Geh doch nach drüben!“) oder fortschrittliche und universalistische Bewegungen als fremd- und ferngesteuert zu diskreditieren. Der konformistisch-patriotische Vorwurf schlug regelmäßig der Linken entgegen, vorgetragen von Krypto-Antisemiten, um die besonders Einfältigen mit diskursivem Handstreich für die dumpfe Sache zu mobilisieren. Heute soll der Vorwurf, AfD, Le Pen oder Trump seien durch „Rußland“ bzw. „Putin“ unterstützt worden, „russische Hacker“ hätten gar die US-amerikanische Wahl manipuliert, auf einmal einer linksliberalen Öffentlichkeit als legitimes Argument taugen? Nun ja, die Internationale ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Nicht Linke und Liberale schließen sich in finsteren Zeiten wie diesen transnational zusammen (und brechen nach Spanien auf, um der versammelten Reaktion die Stirn zu bieten) – sondern Nationalisten, Rechtskonservative und andere Partikularisten üben den länderübergreifenden Schulterschluß (und Djihad-Internationalisten pilgern nach Syrien, um die gemeinsame Sache romantisch-apokalyptisch mit der Waffe in der Hand voranzutreiben).
Nicht die Dead Kennedys, sondern eine andere Band, durchaus in deren Tradition, sah 2006 – zwei Jahre vor der großen Krise und zehn Jahre vor der Ära Trump – finstere Zeiten heraufziehen: „Darker Days Ahead“.

 

Audio: Eine Welt voller Untertanen

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Ein Überblick über die Theorie des autoritären Charakters

Vortrag von Jens Benicke

gehalten am 19. Januar 2017 in Stuttgart 

Weltweit befinden sich autoritäre Bewegungen auf dem Vormarsch; ob Islamismus, autokratische Staatsmänner oder sog. „rechtspopulistische“ Parteien. Liberale, Linke und Wissenschaft stehen diesem Ansturm hilflos gegenüber und fragen sich, wie sich diese erschreckenden Entwicklungen erklären lassen. Ihre altgedienten Gegenstrategien, wie Aufklärung, Skandalisierung oder Bildung laufen angesichts von Faktenresistenz und Verschwörungswahn ins Leere. Hier könnte ein Rückblick auf die Theorie der Autoritären Charakterstruktur, wie sie in erster Linie von der Kritischen Theorie erarbeitet wurde, hilfreich sein. Von Wissenschaft und Medien als „längst widerlegt und veraltet“ ad acta gelegt, bietet dieser Ansatz die Möglichkeit den grassierenden Wahnsinn auf (massen-)psychologischer und materialistischer Grundlage zu verstehen. Der Vortrag will einen kurzen Überblick über das Konzept der autoritären Persönlichkeiten bieten und eine Diskussion über deren Aktualität anstoßen.

Von Jens Benicke erschien 2016 die 2. überarbeitete Auflage von „Autorität und Charakter“  . Er promovierte 2009 mit „Von Adorno zu Mao. Die Rezeption der Kritischen Theorie und die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen deutschen Vergangenheit von der antiautoritären Fraktion der Studentenbewegung zu den K-Gruppen“

 

Respektverweigerung. Warum wir fremde Kulturen nicht respektieren sollten. Und die eigene auch nicht.

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Autorenlesung und Diskussion mit Sama Maani

Dienstag, 28. März 2017, 19.30 Uhr, Stuttgart                                                 Laboratorium, Wagenburgstraße 147, 70186 Stuttgart

Sama Maani liest aus seinem Buch „Respektverweigerung. Warum wir fremde Kulturen nicht respektieren sollten und die eigene auch nicht.“ Anschließend Diskussion.

Heute scheint auch der Weltoffene, wenn es um Fremde geht, nicht ohne ausdrückliche Betonung von deren Zugehörigkeit zu einer ‚anderen Kultur‘ auszukommen. Mehr noch: Als Mensch mit Migrationshintergrund wird der Fremde seine Zugehörigkeit zu einer ‚fremden Kultur‘ auch in den Folgegenerationen nicht los. Welches Konzept von Gesellschaft steckt hinter der Inflation des Begriffs ‚Kultur‘ in der aktuellen Debatte (‚fremde Kultur‘, ‚unsere Kultur‘, ‚Leitkultur‘, ‚Multikulturalität‘ etc.)? Welche Art Unterschiede sollen ‚kulturelle‘ Unterschiede denn sein? Gelten für Angehörige ‚anderer Kulturen‘ andere Maßstäbe hinsichtlich Demokratie, Freiheit und Recht? Der Referent plädiert eindrücklich dafür, derartigen ‚Kultur’zuschreibungen den Respekt zu verweigern. Sama Maan ist mit mit (psycho-)analytisch geschultem Blick und treffenden Formulierungen um klärende Zuspitzung bemüht.

Sama Maani ist Schriftsteller und Psychoanalytiker. Er wurde in Graz geboren und wuchs in Österreich, Deutschland und im Iran auf.

Veranstalterinnen: Laboratorium, Contain’t und Emanzipation und Frieden

Audio: Respektverweigerung. Warum wir fremde Kulturen nicht respektieren sollten. Und die eigene auch nicht.

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Sama Maani liest ein Kapitel aus seinem gleichnamigen Buch:

„Warum wir über den Islam nicht reden können“

am 28. März 2017 in Stuttgart

Heute scheint auch der Weltoffene, wenn es um Fremde geht, nicht ohne ausdrückliche Betonung von deren Zugehörigkeit zu einer ‚anderen Kultur‘ auszukommen. Mehr noch: Als Mensch mit Migrationshintergrund wird der Fremde seine Zugehörigkeit zu einer ‚fremden Kultur‘ auch in den Folgegenerationen nicht los. Welches Konzept von Gesellschaft steckt hinter der Inflation des Begriffs ‚Kultur‘ in der aktuellen Debatte
(‚fremde Kultur‘, ‚unsere Kultur‘, ‚Leitkultur‘, ‚Multikulturalität‘ etc.)? Welche Art Unterschiede sollen ‚kulturelle‘ Unterschiede denn sein? Gelten für Angehörige ‚anderer
Kulturen‘ andere Maßstäbe hinsichtlich Demokratie, Freiheit und Recht?
Der Referent plädiert eindrücklich dafür, derartigen ‚Kultur’zuschreibungen den Respekt zu verweigern. Sama Maani ist mit mit (psycho-)analytisch geschultem Blick und treffenden Formulierungen um klärende Zuspitzung bemüht.

Sama Maani ist Schriftsteller und Psychoanalytiker. Er wurde in Graz geboren und wuchs in Österreich, Deutschland und im Iran auf.

Demokratie oder Volksherrschaft?

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Warum die Verhältnisse nicht besser werden, wenn das Ressentiment mehrheitsfähig ist.

Vortrag und Diskussion mit Lothar Galow-Bergemann

Dienstag, 11. Juli 2017, 20.30 Uhr, Mannheim                                                               JUZ, Käthe-Kollwitz-Str. 2-4

Eine Veranstaltung  des AK Antifa Mannheim

Versteht man „Demokratie“ lediglich im Wortsinne, nämlich als „die Herrschaft des Volkes“, so muss einem davor grausen. Schließlich hätte dann der Nationalsozialismus, der das Fühlen, Denken und Wollen einer großen Mehrheit der Deutschen repräsentierte, das Prädikat demokratisch verdient. Der leidlich funktionierende demokratische Staat aber zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er unveräußerliche Rechte von Einzelnen und Minderheiten garantiert.
Gegen die Krise der Demokratie wird mehr „direkte Demokratie“ gefordert. Doch ob „Ausländer“ rausgeworfen, Minarettbauten verboten oder Schulreformen verhindert werden sollen – bessere Verhältnisse schafft die „Stimme des Volkes“ kaum. Solange die selbstgerechte Gemeinschaft der „ehrlich Arbeitenden und Betrogenen“ ihr Mütchen an vermeintlich „Faulen“ oder „Gierigen“ kühlen mag und Ressentiment landauf landab mit Kritik verwechselt wird, ist „dem Volk“ grundsätzlich zu misstrauen. Was geht in Menschen vor, die zwar gegen einen Bahnhofsneubau Sturm laufen, nicht aber gegen die Rente mit 67 – obwohl sie unter dieser vermutlich wesentlich mehr zu leiden haben werden als unter jenem? Und ist es ein Zufall, dass einem die Forderung nach Volksabstimmungen umso häufiger begegnet, je weiter man sich im politischen Spektrum nach rechts bewegt?

Lothar Galow-Bergemann schreibt u.a. in konkret, Jungle World und auf emafrie.de.

siehe auch auf Facebook

Zauberei und Herrschaft – Zur Ideologie der Harry-Potter-Romane

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Vortrag und Diskussion mit Melanie Babenhauserheide

Donnerstag, 28. September 2017, 19:30 Uhr, Stuttgart
AWO-Ost, Ostendstraße 83

Rowlings Heptalogie, die davon erzählt, wie der Waisenjunge Harry erfährt, dass er ein Zauberer ist, in das magische Internat Hogwarts aufgenommen wird und mit seinen FreundInnen gegen den Mörder seiner Eltern kämpft, hat sich als beispielloser Kassenschlager erwiesen. Nicht wenige LeserInnen der ersten Generation, die gleichzeitig mit der Hauptfigur während der Veröffentlichungen zwischen 1997 und 2007 von Band zu Band grob ein Jahr älter geworden sind, verwenden Formulierungen wie die, sie seien “mit Harry Potter aufgewachsen”, die Reihe habe sie durch ihre Kindheit und Jugend “begleitet” und sie “geprägt”. Die Harry-Potter-Reihe ist somit Bestandteil der Initiation in Kultur und an ihrem Erfolg kann ein Stück weit der Zeitgeist abgelesen werden.

Was wird da eigentlich so enthusiastisch gelesen? Welche Ideologien enthält dieses Artefakt der Kulturindustrie? In welchem Verhältnis stehen affirmative und kritische, reaktionäre, konservative und emanzipatorische Aspekte der Erzählung?

Basierend auf einer ideologiekritischen Analyse aus Perspektive der Kritischen Theorie Theodor W. Adornos wird in diesem Vortrag der Fokus auf die ideologischen Spannungen der Widersprüche der Erzählung gerichtet und der Frage nachgegangen, inwiefern diese Romane in ihrer spezifischen ästhetischen Formensprache reale gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse bestätigen, rechtfertigen, verschleiern, in Frage stellen.

Melanie Babenhauserheide ist Erziehungswissenschaftlerin an der Universität Bielefeld und promoviert zu der Ideologie in der Harry-Potter-Reihe

„Jedermann sei untertan“ Deutscher Protestantismus im 20ten Jahrhundert. Irrwege und Umwege.

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Vortrag und Diskussion mit Karsten Krampitz

Donnerstag, 19. Oktober 2017, 19.30 Uhr, Stuttgart                                                       Geißstr.7

Eine Veranstaltung in Kooperation mit der Stiftung Geißstr.7

Die ersten vier Jahrhunderte ihrer Geschichte standen die evangelischen Kirchen unter dem „landesherrlichen Regiment“ und dementsprechend immer auf der Seite der Obrigkeit. Doch mit der Weimarer Reichsverfassung wurden die Kirchen in die Freiheit entlassen. Die Entwicklung des deutschen Protestantismus nach 1918/19, mit allen Irrwegen und Verwerfungen, ist von einer neuen Qualität.
Der Schriftsteller und Historiker Karsten Krampitz hat eine kritische Überblicksgeschichte der Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD) und ihrer Vorläuferorganisationen geschrieben. Er beschäftigt sich mit deren Rolle als Sargnagel der Weimarer Republik und untersucht, warum sich kein anderes Sozialmilieu so offen und aufnahmebereit für die Ideologie der Nazis zeigte wie das kleinbürgerlich-evangelische. Anhand neuer Quellen und Dokumente erzählt er von der Mittäterschaft der Kirche an der Ermordung der europäischen Juden und entlarvt die Schilderung vom Widerstand der Bekennenden Kirche im Dritten Reich als Lebenslüge der EKD. Für die Zeit nach dem Krieg zeigt Krampitz, dass es auch in der Kirche keine Stunde Null gab und bis in die 1960er Jahre hinein die alten Eliten vorherrschten.  Ausführlich geht er auf die besondere Entwicklung der evangelischen Kirche in der DDR ein. Während sich die EKD in Westdeutschland dem Staat andiente, die Wiederaufrüstung durch den Militärseelsorgevertrag begleitete und in ihren Erziehungsheimen schlimmstes Unrecht beging, geriet der ostdeutsche Protestantismus zunehmend in die ideologische Diaspora. Auch der 1969 gegründete Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR litt an Mitgliederschwund, bekam aber gleichzeitig immer mehr Zulauf.

Karsten Krampitz studierte Geschichte, Germanistik und Politikwissenschaften an der Humboldt-Universität in Berlin; Promotion zum Thema des Verhältnisses von Staat und Kirche in der DDR.

Sein Buch zum Thema des Vortrags ist kürzlich erschienen.

Ein Interview mit ihm können Sie HIER lesen.

 


Kritische Männlichkeit: Hegemoniale Männlichkeit benennen, dekonstruieren und kritisieren

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Workshop mit Markus Textor

Samstag, 30. September, 14 Uhr, Stuttgart                                                                  Kinder- und Jugendhaus Nord, Mittnachtstr. 30

im Rahmen des Queerfeministischen Wochenendes

Im Workshop wird es einen kurzen Theorieinput geben, in dem das soziologische Konzept der hegemonialen Männlichkeit erläutert und zur Diskussion gestellt wird. Wir schauen uns dann verschiedene Männlichkeitsbilder aus der Pop- und Rockwelt an und sprechen über diese. Nach dem Input gibt es mehrere praktische Übungen, bei denen die Teilnehmer*innen selbst über ihre Erfahrungen und ihren Umgang mit Männlichkeiten sprechen können, um nach Lösungen zu suchen. Am Ende des Workshops treffen wir uns im Plenum und besprechen die Ergebnisse. Das Vorgehen soll möglichst offen gestaltet werden und bis auf den kurzen Theorieinput, auf die Wünsche und Bedürfnisse der Teilnehmenden eingehen.

 

Weiblich, jung, rechtsextrem: Frauen in der rechten Szene

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Vortrag und Diskussion mit Prof. Dr. Esther Lehnert

Donnerstag, 23. November 2017, 19.00 Uhr, Stuttgart                      Württembergischer Kunstverein, Schlossplatz 2

Eine Veranstaltung in Kooperation der Friedrich-Ebert-Stiftung Baden-Württemberg und des Fördervereins Emanzipation und Frieden e.V.

Ungeachtet der Tatsache, dass durch die Anklage von Beate Zschäpe im Rahmen des
NSU-Prozess in München das Thema rechtsextreme Frauen wieder mehr in den medialen und gesellschaftlichen Fokus gerückt ist, bleibt das Antlitz des modernen Rechtsextremismus männlich. Rechtsextremen Frauen gelingt es nach wie vor besser „unsichtbar“ zu bleiben und ihre menschenverachtende Ideologie auf eine „nettere“ Art in die Gesellschaft zu tragen. Der Vortrag von Prof. Dr. Esther Lehnert setzt sich mit modernen und/oder traditionellen Inszenierungen von Frauen in unterschiedlichen Bereichen von Rechtsextremismus und Rechtspopulismus auseinander und fragt nach weiblichen Strategien und thematisiert die besondere Gefahr, die von rechtsextremen Frauen ausgeht. Wir laden Sie herzlich zu Vortrag und Diskussion von und mit Prof. Dr. Esther Lehnert ein!

Prof. Dr. Esther Lehnert ist Erziehungswissenschaftlerin und setzte sich bereits in ihrer Promotion mit der Beteiligung von Sozialarbeiterinnen im Nationalsozialismus
auseinander. Sie war in verschiedenen Präventions- und Interventionsprojekten (u.a. in der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin) beschäftigt. Seit 2015 hat sie eine Professur an der Alice Salomon Hochschule zur Geschichte, Theorie und Praxis
der Sozialen Arbeit mit dem Schwerpunkt Rechtsextremismus. In der Fachstelle Gender und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung ist sie seit Beginn an als freie Mitarbeiterin tätig.

19.00 Uhr Begrüßung: Sarah Hepp, Referentin Fritz-Erler-Forum Baden-Württemberg
19.15 Uhr Vortrag: Prof. Dr. Esther Lehnert, Rechtsextreme Frauen – übersehen und unterschätzt?!
20.15 Uhr Diskussion mit dem Publikum
20.50 Uhr Schlusswort: Lothar Galow-Bergemann, Emanzipation und Frieden e.V.
21.00 Uhr Ende der Veranstaltung

Personen, die rechtsextremen Parteien oder Organisationen angehören oder der
rechtsextremen Szene zuzuordnen sind, sind von der Veranstaltung ausgeschlossen. Die Veranstaltenden werden ihnen den Zutritt zur Veranstaltung verwehren oder sie während der Veranstaltung von dieser ausschließen.

 

Höhere Mächte, Unterwerfung und Emanzipation

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Zur Aktualität von Religionskritik in Zeiten der Krise

Vortrag und Diskussion mit Lothar Galow-Bergemann

Donnerstag, 16. November 2017, 19.00 Uhr, Gießen                            AK44/Infoladen, Alter Wetzlarer Weg 44

Freitag, 17. November 2017, 19.30 Uhr, Augsburg                                                      Die Ganze Bäckerei, Frauentorstrasse 34

Der Glaube an das Walten höherer Mächte will auch nach drei Jahrhunderten Aufklärung nicht vergehen. In Krisenzeiten, wo Unsicherheit und Zukunftsängste um sich greifen, hat er erst recht Konjunktur. Religion und Religiosität erlangen ungeahntes gesellschaftliches Gewicht. Das gilt nicht nur, aber vor allem für den Islam und die Kontroverse um ihn. Doch ob sich Menschen den eingebildeten Mächtigen angst- und lustvoll unterwerfen, wie es vorzugsweise dem lieben Gott und seinen diversen Spielarten widerfährt oder ob sie sich ihnen als den imaginierten „Herrschern des Geldes“ in rebellischem Gestus entgegenstellen – die wirkliche „höhere Macht“, die ihr Leben beherrscht, durchschauen sie solange nicht, wie ihnen die Zwänge der Kapitalverwertung „natürlich“ und unhinterfragbar scheinen.

Lothar Galow-Bergemann schreibt u.a. für konkret, Jungle World und emafrie.de

Audio: Höhere Mächte, Unterwerfung und Emanzipation

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Zur Aktualität von Religionskritik in Zeiten der Krise

Vortrag von Lothar Galow-Bergemann

gehalten am 16. November 2017 in Gießen

Der Glaube an das Walten höherer Mächte will auch nach drei Jahrhunderten Aufklärung nicht vergehen. In Krisenzeiten, wo Unsicherheit und Zukunftsängste um sich greifen, hat er erst recht Konjunktur. Religion und Religiosität erlangen ungeahntes gesellschaftliches Gewicht. Das gilt nicht nur, aber vor allem für den Islam und die Kontroverse um ihn. Doch ob sich Menschen den eingebildeten Mächtigen angst- und lustvoll unterwerfen, wie es vorzugsweise dem lieben Gott und seinen diversen Spielarten widerfährt oder ob sie sich ihnen als den imaginierten „Herrschern des Geldes“ in rebellischem Gestus entgegenstellen – die wirkliche „höhere Macht“, die ihr Leben beherrscht, durchschauen sie solange nicht, wie ihnen die Zwänge der Kapitalverwertung „natürlich“ und unhinterfragbar scheinen.

Lothar Galow-Bergemann schreibt u.a. für konkret, Jungle World und emafrie.de

 

Demokratie oder Volksherrschaft?

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Warum die Verhältnisse nicht besser werden, wenn das Ressentiment mehrheitsfähig ist

Vortrag und Diskussion mit Lothar Galow-Bergemann

Montag, 29. Januar 2018, 18.00 Uhr, Stuttgart
Gewerkschaftshaus, Raum 3, Willi-Bleicher-Str. 20

Eine Veranstaltung von ver.di Bezitk Stuttgart

Versteht man „Demokratie“ lediglich im Wortsinne, nämlich als „die Herrschaft des Volkes“, so muss einem davor grausen. Schließlich hätte dann der Nationalsozialismus, der das Fühlen, Denken und Wollen einer großen Mehrheit der Deutschen repräsentierte, das Prädikat demokratisch verdient. Der leidlich funktionierende demokratische Staat aber zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er unveräußerliche Rechte von Einzelnen und Minderheiten garantiert.
Gegen die Krise der Demokratie wird mehr „direkte Demokratie“ gefordert. Doch ob „Ausländer“ rausgeworfen, Minarettbauten verboten oder Schulreformen verhindert werden sollen – bessere Verhältnisse schafft die „Stimme des Volkes“ kaum. Solange die selbstgerechte Gemeinschaft der „ehrlich Arbeitenden und Betrogenen“ ihr Mütchen an vermeintlich „Faulen“ oder „Gierigen“ kühlen mag und Ressentiment landauf landab mit Kritik verwechselt wird, ist „dem Volk“ grundsätzlich zu misstrauen. Ist es ein Zufall, dass einem die Forderung nach Volksabstimmungen umso häufiger begegnet, je weiter man sich im politischen Spektrum nach rechts bewegt?

Lothar Galow-Bergemann war langjähriger freigestellter Personalrat im Klinikum Stuttgart, schreibt u.a. für Konkret, Jungle World und „Emanzipation und Frieden“

 

Destruktive Charaktere – Hipster und andere Krisenphänomene

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Vortrag und Diskussion mit Chris Wilpert und Robert Zwarg

Donnerstag, 25. Januar 2018, 19.30 Uhr, Stuttgart
Korridor, Weberstr. 11d, 70182 Stuttgart

Als das deutsche Feuilleton vor einigen Jahren den »Hipster« entdeckte, schien es, als hätten sich alle Entwicklungstendenzen und Charakteristika der Gegenwart in einem einzigen Sozialtypus verdichtet. Niemand wollte Hipster sein, doch alle wussten ihn zu erkennen: Ausstaffiert mit den typischen modischen Accessoires, omnipräsent in der virtuellen Welt von tumblr und facebook, gefürchtet und gehasst in Szeneklubs und -vierteln, wurde der Hipster zum bevorzugten Objekt von Analyse und Spott. Er galt als der destruktive Charakter par excellence. Inzwischen haben sich Phänomen und Diskurs weitgehend entkoppelt. Das Erscheinungsbild des Hipsters ist ins Allgemeinwissen übergegangen, und der Spott über ihn ist so unmittelbar abrufbar wie zugleich leidenschaftslos geworden. Bloß für sich genommen wäre der Hipster keine Vorträge mehr wert. Als überraschend beharrliches Symptom eignet er sich jedoch als Ausgangspunkt einer kritischen Analyse jener Ideologien und kulturellen Verwerfungen, die ihn beständig hervorbringen und die weit über ihn hinaus wirksam sind. Die anhaltende Auflösung vormaliger Analyse- und Ordnungskategorien wie Klasse, Geschlecht und Geschichte sowie die Umbrüche im Bereich der Öffentlichkeit, der Kultur und der Wissensproduktion manifestieren sich auch in anderen, neuen Sozialtypen. Sie alle verweisen auf miteinander korrelierende Entwicklungen des »neuen Geist des Kapitalismus«: Veränderung der Arbeitsverhältnisse, die Erosion der Bürgertums, die Verschiebung geschlechtlicher Identitäten, die Krise der Kunst und der politischen Urteilskraft.

Das BUCH zum Vortrag.

Eine Veranstaltung in Kooperation von Korridor und Emanzipation und Frieden

Audio: Billig produzierte Kritik

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von Bastian Witte

Die Eröffnung einer zweiten Primark-Filiale hat in Stuttgart für lebhafte Diskussionen gesorgt. Für seinen Umgang mit Mitarbeitern und Produzenten stand der Textil-Discounter zuletzt immer wieder in der Kritik. Häufig jedoch greift diese zu kurz und ist von ideologischen Projektionen durchzogen. [gelesen von Lothar Galow-Bergemann]

Der Text erschien am 9. Dezember 2017 auf emafrie.de

 


Zur Kritik der Prostitution: Theorie & Praxis

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Vortrag und Diskussion mit Naida Pintul

Mittwoch, 21. März 2018, 19.30 Uhr, Stuttgart                                                             Laboratorium, Wagenburgstr.147

Prostitution kann zu Recht als eines der Goldenen Kälber des Feminismus bezeichnet werden: Kaum ein Thema erzeugt innerhalb feministischer Kreise so viele, teils erbittert geführte Kontroversen. Der liberale und queere Feminismus der Dritten Welle hat sich mittlerweile die Deutungshoheit erobert, Prostitution in »Sexarbeit« umbenannt und ihr empowerndes, gar emanzipatorisches Potential zugeschrieben. So heißt es, dass selbstbestimmte Sexarbeit mit dem Feminismus nicht nur vereinbar, sondern per se auch feministisch sei. Veranstaltungen wie die Ladyfeste lassen regelmäßig Frauen referieren, die das Narrativ der glücklichen Sexarbeiterin bedienen, in aller Regel in individualistisch-liberaler Manier. Was hier oft zu kurz kommt, ist jedoch zum einen die Frage, wie Prostitution in ihrer aktuellen Ausprägung gesellschaftlich ermöglicht wird, zum anderen sind es die Stimmen derjenigen Frauen in der Prostitution, die nicht das Narrativ vom »Job wie jeder andere« bedienen. Der Vortrag wird Prostitution vor dem Hintergrund patriarchaler Geschlechterverhältnisse aufrollen und ein Grundgerüst liefern, um diese Institution über individuelle Betroffenengeschichten hinaus zu analysieren.

Naida Pintul arbeitet ehrenamtlich in einer Beratungsstelle für Frauen in der Prostitution und fokussiert sich in ihrer politischen Arbeit als Feministin in der Tradition der Zweiten Welle neben der Sexindustrie auf den Islam bzw. die islamische Bedeckung, in dessen Verklärung zum Empowerment-Tool seitens Queerfeministinnen sie Parallelen zum Umgang mit Prostitution sieht.

Eine Veranstaltung in Kooperation von Laboratorium und Emanzipation und Frieden

 

Kritische Heimatkunde

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von Lucius Teidelbaum

Heimat ist ein viel gebrauchter Begriff, im normalen Leben, in der Politik oder in Liedtexten. Doch was bedeutet eigentlich Heimat und sollten sich Linke positiv auf diesen Begriff beziehen?

Ein Begriff, viele Bedeutungen

Das Problem mit dem Begriff „Heimat“ ist, dass er keine feststehende Definition hat, sondern ein Begriffscontainer ist, in den die Menschen unterschiedliche Deutungen hinein legen.
In einem Abschnitt der überaus lesenswerten Broschüre „Grauzonen“ der „Agentur für soziale Perspektiven“ über „Rechte Lebenswelten in Fußballfankulturen“ wird der Heimat-Begriff kritisch unter die Lupe genommen. Hier heißt es: „Heimat kann vieles sein: Ort der Herkunft, der Sozialisation, der Familie, der FreundInnen, des gegenwärtigen Sozialraums oder des Rückzugs. Dabei vermengen sich geographische Bezüge, ethnische Kategorien und soziale Milieus. Heimat stellt den Ort subjektiv empfundener Zugehörigkeit und einen Teil der eigenen Identität dar. Sie wird in der Regel als Ort verstanden, an dem das Individuum nicht in Frage gestellt wird und sich selbst nicht in Frage stellen muss. »Heimatgefühle« sind Ausdruck des Bedürfnisses nach Geborgenheit und Sicherheit. Aufgrund seiner Interpretierbarkeit lässt sich Heimat nicht pauschal in einen rechten Zusammenhang stellen.“

Lokalismus und Fremdenfeindlichkeit

Der Begriff Heimat wird häufig in einer Bedeutung als Ersatzbegriff für einen problematischen Begriffe wie „Nation“ verwendet. Manchmal ist „Heimat“ zwar kein Ersatzbegriff für „Nation“, stellt aber eine Art kleinere Version davon mit einem verkleinerten Bezugsrahmen dar. Statt Nationalismus wird dann der Regionalpatriotismus stark gemacht. In Studien wird dieser auch als „Lokalismus“ bezeichnet.
Ähnlich wie im Nationalismus gibt es im Lokalismus häufig Homogenitätsvorstellungen, also die Idee einer in Herkunft, Sprache und Dialekt, Religion und Bräuchen möglichst einheitlichen Bevölkerung.
Diese Vorstellung ist meist sehr konstruiert. In allen Regionen können die Bevölkerungen in unterschiedliche soziale Gruppen unterteilt werden. Das Leben eines Fabrikanten und einer Putzfrau unterscheidet sich eklatant, auch wenn beide in derselben Region leben.
Dominante konfessionelle Prägungen in Deutschland, also hierzulande zumeist der Umstand ob eine Gegend protestantisch oder katholisch ist, wurde mit der Ansiedlung von deutschen Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg aufgelockert. Später kamen diverse Einwanderungsgruppen dazu, deren Nachkommen heute selbst in ländlichen Gebieten Westdeutschlands einen größeren Teil der Bevölkerung ausmachen. Aber schon in der Vergangenheit waren die Regionen nicht so homogen, wie manche heute glauben. In Baden-Württemberg gab es in vielen Orten so genannte Landjuden. Vor dem Massenmord im Nationalsozialismus stellte diese Gruppe in manchen Orten teilweise ein Drittel der Bevölkerung. Hinzu kommen Sinti und Roma, sowie die ethnosoziale Gruppe der Jenischen. Diese Vielfalt in der Bevölkerung fiel dem NS-Massenmord zum Opfer.

Neuzuwanderer bzw. Neuankömmlinge wird in einer Region mit starker sozialer Kontrolle und geringer Migrationserfahrung als Fremden erst einmal von einem größeren Teilen der Bevölkerung mit Misstrauen und Ablehnung begegnet. Der Normalfall Migration wird hier als „widernatürlich“ gesehen. Diese Fremden können dabei ganz unterschiedlichen Gruppen angehören: Flüchtlinge, „fahrendes Volk“, Wessis im Osten, Ossis im Westen, SpätaussiedlerInnen, Schwaben in Berlin, „Neigeschmeckte“ in Schwaben bzw. einfach Neuzugezogene oder sogar TouristInnen.
Das Problem ist nicht, dass anfangs tatsächlich Fremde kommen, sondern dass sie es im Bewusstsein vieler bleiben und zwar teilweise bis zur dritten Generation.
Hier ergibt der – zu Recht umstrittene – Begriff der Fremdenfeindlichkeit einen gewissen Sinn. Fremdenfeindlichkeit oder Xenophobie attackiert alles als ‚fremd‘ Wahrgenommene. Eine rassistische Aufladung dieser Fremdenfeindlichkeit sorgt dann für die Aufrechterhaltung dieser Abwehr-Haltung. Da der Fremde ‚rassisch‘ oder kulturell fremd ist, kann er im rassistischen Verständnis nicht integriert werden und soll es auch nicht.
Andere anfangs als ‚Fremde‘ angefeindete oder misstrauische beäugte NeubürgerInnen werden dagegen mit der Zeit akzeptiert, wenn sie zum eigenen Kulturraum gezählt werden bzw. eine weiße Hautfarbe haben und ihre Eigenheiten in Bezug auf Sprache, Religion oder Kultur nicht zu offen zeigen. Der Neuzugezogene in einem Dorf wird irgendwann als Teil der Dorfgemeinschaft akzeptiert, wenn er als Deutscher eingeordnet wird und nicht gegen die lokalen Sitten und Gebräuche verstößt bzw. irgendwann nicht mehr auffällt. Ein Deutschtürke, der auf ein Dorf zieht, hat es da schon schwieriger, aber auch er kann mit der Zeit von vielen akzeptiert werden, wenn er seine Herkunft nicht zu offen zeigt, sich also assimiliert. Die Verweildauer wird aber oft nur als Eintrittskarte akzeptiert, wenn die Person sich nicht anderweitig von der lokalen Bevölkerung unterscheidet.

Heimat als (vermeintlicher) Zufluchtsort vor der Globalisierung

Von vielen wird heute Heimat als eine Art Trutzburg gegen die Zumutungen einer globalisierten Welt gesetzt. Sie erscheint als sicherer Hafen, als Heimathafen, gegen die Stürme der Moderne in einer (scheinbar) aus den Fugen geratenen Welt. Somit kann der verstärkte Bezug auf Heimat auch als ein Krisenphänomen interpretiert werden.
Kapitalismus und Globalisierung produzieren tatsächlich Probleme und Entfremdungs-Erfahrungen. Nicht alle diese Erfahrungen haben eine legitime Berechtigung. Ein Rassist, der sich durch Zuwanderung nicht mehr wohl in seiner Heimat fühlt, bleibt trotzdem ein Rassist. Es wäre fatal auf seine Ängste und Befürchtungen, statt sie ihm auszureden, einzugehen, wie es ein Teil der etablierten Politik immer wieder gerne macht.
Die Kritik an anderen Entwicklungen dagegen ist überaus legitim. Der Abbau und die Vernachlässigung von Infrastruktur von in ländlichen Gebieten: Marode Straßen, Schulschließungen, Arbeitsplatzverlagerungen, das Schließen von Krankenhäusern, Postämtern, Wirtshäusern oder des letzten Dorfladen. Die Vernachlässigung ganzer Regionen sorgt in Reaktion offenbar für eine Aufwertung der Heimat und die Konstitution einer Schicksalsgemeinschaft. In der bereits erwähnten „Grauzonen“-Broschüre wird auch das anschaulich: zusammengefasst: „Gerade in Regionen, in denen sich viele Menschen ökonomisch abgehängt und unterprivilegiert empfinden, es mitunter auch sind, dominieren oft Erzählungen über die Heimat als Leidtragende »fremder« Begehrlichkeiten und Überheblichkeit, gegen die es sich gestern wie heute zu behaupten gelte. Darin wird die Heimat als eine Schicksalsgemeinschaft der Zu-Kurz-Kommenden beschrieben und zugleich als eine trotzige, widerständische Gemeinschaft, die das kollektiv erlittene Schicksal zusammengeschweißt habe. Die Heimat wird als etwas Außergewöhnliches und Rebellisches aufgewertet und zur Folie des Selbstbildes von Selbsterhöhung und Opferstilisierung (Größen- und Verfolgungswahn). In dieser Beschreibung findet sich fast immer die positive Herausstellung angeblicher Eigenarten und Besonderheiten der dort lebenden, beziehungsweise dort angestammten Menschen. Gerade Fußballfans verstehen sich häufig als RepräsentantInnen eines besonderen regionalen »Menschenschlags«, der sich vor allem durch Widerspenstigkeit, Unbeugsamkeit, Schlagkräftigkeit, Trinkfestigkeit, Bodenständigkeit und Ehrlichkeit auszeichnet.“
So ist die Heimat im Grunde bei vielen nicht nur ein realer Ort, sondern ein Sehnsuchtsort und damit eine Projektionsfläche. Er steht für den Rückzug in das (scheinbar) Altbekannte und Vertraute.
Ein Beispiel wäre das Dorf, was bei vielen als die Metapher für Heimat steht. Dabei ist der Zustand auch ländlicher Regionen nicht so starr, wie viele HeimatschützerInnen es gerne sehen würden. Die kapitalistische Globalisierung hat in Westdeutschland und nach 1990 auch in Ostdeutschland nie eine Bogen um diese als Heimat abgegrenzte Inseln gemacht. Fastfood-Imbisse, Handyshops oder Shell-Tankstellen gibt es in Deutschland natürlich auch in ländlichen Regionen.
Die idyllische Gemeinschaften, wie Dörfer gerne gesehen und in Magazinen wie „Landlust“ abgebildet werden, existieren in Wahrheit so nicht. Es handelt sich eher um Sehnsuchtsorte und Projektionsflächen für gestresste Stadtmenschen.

Völkische Heimat

In der „Grauzonen“-Broschüre wird ebenfalls auf das Heimatverständnis von rechts näher eingegangen. Da es sich um eine inhaltlich kluge Analyse handelt, soll ein größerer Abschnitt nachfolgend zitiert werden:

„Im (extrem) rechten Denken ist der Begriff Heimat omnipräsent. Dort herrscht, so schreibt der Journalist Patrick Gensing, »ein gemeinsames Verständnis von Heimat als einmalige und unveränderliche Identität und Herkunft. Heimat kann man sich demnach nicht aussuchen, vielmehr existiert eine schicksalhafte Verbindung zwischen dem Boden, einer starren Kultur sowie den Menschen, die dort geboren wurden.«
In diesem Heimatbegriff sind drei Motive miteinander verflochten:
– Heimat als Blut-und-Boden-Mythos (völkische Heimatkonstruktion),
– Heimat (synonym zu Volk) als Schicksalsort und Schicksalsgemeinschaft,
– Heimat als Territorium (Herrschaftsgebiet männerbündischer Kampfgemeinschaften).
Je geschlossener das rechte Weltbild ist, desto exklusiver werden Heimat, Volk und Nation konstruiert, desto stärker wird »Heimat« pathetisch und mythisch aufgeladen und zur emotionalen Bezugsgröße.
[…]
In den rechten Lebenswelten taucht der Bezug zur Heimat immer wieder auf. Die Anschlussfähigkeit des hier benutzten Heimatbegriffs zu extrem rechten Ideologien stellt sich her:
– wenn Heimat stärker über Exklusion, denn über Inklusion festgelegt wird,
– wenn die Bewahrung der Heimat zu einem prägenden Denk- und Handlungsprinzip wird,
– wenn Heimat als homogene Gemeinschaft konstruiert wird,
– wenn Heimat als etwas Statisches und Natürliches empfunden wird,
– wenn Heimat romantisiert, mythifiziert und pathetisch aufgeladen wird,
– wenn die Zugehörigkeit des Individuums zur Heimat und gleichberechtigte Teilhabe anhand der Kriterien von Abstammung und/oder ethnischer Zuordnung bestimmt wird,
– wenn von als »fremd« definierten Menschen zur Erlangung von Zugehörigkeit und Teilhabe eine Assimilierung und Erbringung besonderer Leistungen verlangt werden.
[…]
Im völkischen Verständnis ist Heimat mit Nation und (Bluts-)Volk gleichgesetzt. Im Gleichklang von Volk und Heimat wird eine Gemeinschaft beschrieben, die vor allem durch Abstammung verbunden sei. Einen Bezug auf die politische Kategorie des »Staatsvolkes« gibt es darin nicht. Die Vorstellung von »Volk« und »Volksgemeinschaft« ist der dezidierte Gegenentwurf zu »Gesellschaft«. Behauptet wird, der Mensch habe – sofern er seinem »wahren« Wesen nicht entfremdet sei – eine »natürliche«, symbiotische Beziehung zu Volk und Heimat und könne ohne diese keine Zugehörigkeit finden. Der unmittelbare Sozialraum (Dorf, Stadtteil) wird als »Organ« im »Volkskörper« verstanden. Mit den Sinnbildern von Volkskörper und Verwurzelung und der Gleichsetzung von Menschen und Bäumen, die man gleichsam nicht verpflanzen könne, greift man auf biologistische Erklärungsmuster zurück (› Reduktion des Politischen / Patriotische Musik auf der Fanmeile). Das völkische Heimatverständnis wird häufig mit den Vorstellungen von soldatischer Männlichkeit und Ehre verbunden, die einem gebieten würden, für die Heimat sein Blut zu geben.“

Auch die extrem rechte „Identitäre Bewegung“ (IB) bezieht sich stark auf den Begriff „Heimat“. Hier wurde offenbar bewusst ein Begriff gewählt, der bei fast allen emotional sehr positiv besetzt ist. Da wird von der IB laut skandiert „Heimatliebe ist kein Verbrechen!“ und damit so getan als ob das irgendwo behauptet wird. Dabei geht es in Wahrheit um nicht um die Kriminalisierung, sondern um die Kritik an Nationalismus und dem völkischen Heimat-Begriff. Gruppen wie die Identitären verstehen nämlich Heimat im Grunde als eine exklusive Heimat nur für weiße Deutsche.
Ähnliches ließe sich zu der in Deutschland sehr populären italienischen Band „Frei.Wild“ sagen, die ihr völkisches Heimat-Verständnis als unpolitischen Begriff verkauft und jede Kritik daran abwehrt.

Alles Heimat oder was? Heimat als Marketing-Begriff

„Deutsche kauft deutsche Bananen.“
Kurt Tucholsky

Interessanterweise reagieren kapitalistische Unternehmen auf die von ihnen mit verursachten Probleme und die dadurch entstandene Sehnsucht nach Heimat indem sie sich diese Sehnsucht in der Werbung zu nutze machen. Mit dem Label ‚Heimat‘ wird heutzutage eine schier unüberschaubare Produktpalette versehen, zur Förderung des Verkaufserfolgs.
Die billig zu habende Tümelei wird gezielt als Marketing-Strategie zur Produktbewerbung eingesetzt. Dabei wir mit Bildern gearbeitet, die in der Realität nicht (mehr) existieren.
Die kleinteilig und persönlich betriebene Landwirtschaft, die uns so gerne in der Werbung vorgeführt wird, ist eher die Ausnahme. Die Regel ist dagegen eine hochindustrialisierte Landwirtschaft, die mit Pesti-, Fungi- und Insektoziden Monokulturen und ökologische Wüsten schafft. Statt der Bäuerin, die von Hand eine Kuh melkt, sind es Melkroboter, die den Kühen die Milch abzapfen. Das Bild der Bäuerin, die noch von Hand eine Kuh melkt, soll die industrielle Landwirtschaft verdecken.
Gerade im konsumbewussten Teil der deutschen Mittelschicht wird diese offenkundige Lüge gerne geglaubt. Die durchaus sinnvolle, da ressourcensparende Entscheidung vor allem lokale Produkte zu kaufen wird hier erweitert um den Faktor, damit der Heimat einen Gefallen zu tun. Dabei sind auch viele (scheinbar) lokalen und ökologischen Produkte keine Erzeugnisse kleiner oder gar selbstverwalteter Betriebe.

Heimat als Mobilisierungs-Faktor der politischen Mitte

Im Anfang Februar 2018 bekannt gewordenen Koalitionspapier der „Großen Koalition“ ist ein Heimatministerium vorgesehen. Horst Seehofer (CSU) wechselt als dazugehöriger Innen- und Heimatminister nach Berlin. Es ist bisher unklar, was er genau als Heimatminister tun wird. Frühere Aussagen von ihm, lassen aber nichts Gutes ahnen. Bereits 2010 klagte der damalige CSU-Chef: „Kreuze raus aus dem Klassenzimmer, Imame weihen öffentliche Gebäude ein, japanische Autos auf den Straßen – das ist nicht unser Bayern.“
Doch der CSU-Funktionär ist nicht der einzige, der die Heimat für sich als politischen Mobilisierungs-Faktor entdeckt hat.
Der Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) schrieb in einem Meinungsbeitrag mit dem Titel „Sehnsucht nach Heimat. Wie die SPD auf den Rechtspopulismus reagieren muss“ für das Spiegel-Magazin am 16. Dezember 2017: „Ist der Wunsch nach sicherem Grund unter den Füßen, der sich hinter dem Begriff ›Heimat‹ hier in Deutschland verbindet, etwas, was wir verstehen, oder sehen wir darin ein rückwärtsgewandtes und sogar reaktionäres Bild, dem wir nichts mehr abgewinnen können? Ist die Sehnsucht nach einer ›Leitkultur‹ angesichts einer weitaus vielfältigeren Zusammensetzung unserer Gesellschaft wirklich nur ein konservatives Propagandainstrument, oder verbirgt sich dahinter auch in unserer Wählerschaft der Wunsch nach Orientierung in einer scheinbar immer unverbindlicheren Welt der Postmoderne?“
Katrin Göring-Eckardt, die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, twitterte 2017 mehrmals zum Thema Heimat:
„Die Sehnsucht nach ‘Heimat’, nach Zuhause, danach sich zurechtzufinden, sicher zu sein, ist als solche nicht reaktionär, aber sie läßt sich für eine reaktionäre Agenda mißbrauchen.“ „Wir lieben dieses Land. Das ist unsere Heimat. Und diese Heimat spaltet man nicht.“ „Sicher, wir sollten den Stolz auf unsere Heimat nicht den Rechten und den Deutschtümelanten überlassen.“

In seinem Artikel und in ihren Tweets verwenden Gabriel und Göring-Eckardt den Begriff Heimat beispielhaft zur politischen Mobilisierung.
Göring-Eckardt appelliert an die Heimatliebe ihrer Follower. Dabei ist sie sich der Problematik des Begriffs Heimat bewusst und versucht einer rechten Bezugnahme vorzubeugen, indem sie sich von „Rechten und […] Deutschtümelanten“ absetzt. Doch sie selber verwendet in ihren Tweets einen tümelnden Begriff von Heimat und Land. Denn ihre Ansprache ist kollektiv und emotional („Wir lieben dieses Land.“). Weiter appelliert sie an die Einheit („diese Heimat spaltet man nicht“), die nur durch den positiven Bezug auf die Heimat hergestellt wird. So werden reale Unterschiede in Bezug auf Klasse, Geschlecht, politische Ausrichtung usw. überdeckt, denn alle sind bei ihr ja Teil der Heimat. Die einzigen, die da stören sind eigentlich nur solche, die diesen Bezug ablehnen. Hier kommt die emotionale Bindung an den Begriff „Heimat“ zur Wirkung, weil sie jede Kritik an Heimat, an spezifischen Aspekten in einer Region oder die Ablehnung des Lokalismus als persönlichen Angriff einordnet. Unter Konservativen wurden diese KritikerInnen früher als „heimatlose Gesellen“ oder „NestbeschmutzerInnen“ beschimpft.
Mag sein, das sie Fraktionschefin der Grünen keinen völkischen Heimatbegriff hat. Vermutlich will sie nicht nur eine Heimat für weiße Deutsche. Trotzdem ist auch ihre Verwendung des Begriffs eine reaktionäre.
Sie benutzt den Begriff zur politischen Mobilisierung ähnlich wie bei einer nationalistischen Mobilisierung. Da sie auch von „Land“ schreibt, ist es tatsächlich nichts weniger als eine solche. Sie versucht lediglich die verbrauchten Begriffe Volk und Nation durch die unverbrauchteren Begriffe Heimat und Land zu ersetzen. In der Bedeutung und vor allem in ihrer zwangsintegrativen und mobilisierenden Funktion sind sich beide Begriffspaar sehr ähnlich.

Linke Heimatliebe?

Der Lokalismus findet sich stärker in ländlichen Regionen und sein Gegensatz wäre der Kosmopolitismus. Wobei der Stadt nicht ausschließlich der Kosmopolitismus zugeordnet werden kann. In manchen Stadtteilen existiert ein ausgeprägter Lokalismus, der sich schnell auch gegen Neuzugezogene richtet. Dieser Kiez- oder Veddel-Lokalpatriotismus ist insgesamt weniger bis gar nicht völkisch gefärbt als der Lokalismus auf dem Land und wird häufig auch von migrantischen und linken Gruppen mit getragen. Trotzdem ist er problematisch. Die Ab- und Ausgrenzung zu Personen, die nicht als Teil der Heimat betrachtet werden, haben Nationalismus, rechter und linker Lokalismus häufig gemeinsam.
Wenn Neuzugezogene ohne Kenntnis des Individuums als „Schwaben“ oder „Yuppies“ kollektiv abgelehnt und angefeindet werden, dann ist auch hier eine Form von Fremdenfeindlichkeit zu entdecken. Die eigene Gruppe (ingroup) wird durch die Ablehnung der äußeren Gruppe (outgroup) überhaupt erst geschaffen und aufgewertet.
Sich im vertrauten Stadtteil heimisch zu fühlen, ist erst einmal nachvollziehbar, sollte aber nicht im kollektiven Bezug auf einen ganzen Stadtteil enden und auch nicht in der Ablehnung bestimmter Gruppen von Neuzugezogenen. Auch dann nicht, wenn mit diesen Gruppen reale Probleme wie Mietsteigerungen einher gehen. Die Angehörigen dieser Gruppen sind Indikator einer Verschlechterung, aber als Individuen nicht dafür verantwortlich zu machen. Die Ablehnung so genannter ‚Yuppies‘ dient ohnehin manchen Linken der eigenen Aufwertung und steigert sich teilweise bis zur Gewalttätigkeit. Yuppie-Hass ist aber eher Teil eines verkürzten und personalisierten Antikapitalismus, denn Ausdruck einer sinnvollen Analyse und emanzipatorischer Politik.

Der in Fußballfangruppierungen, auch in linken Ultragruppen, kursierende Lokalismus ist ebenfalls nicht unproblematisch. Er schlägt schnell in Aggression um, wenn man sich nicht anschließt oder zu einer anderen Gruppe gerechnet wird. Wenn sich dann Fans aus von Fußballvereinen aus verschiedenen Städten gegenseitig beschimpfen oder angreifen, offenbart sich das Gewaltpotenzial schnell.

Realer Heimatverlust

Es wäre ignorant, nicht zu sehen, dass für Flüchtlinge wie z.B. Linke und Jüdinnen und Juden, die in den 1930er Jahren aus Nazi-Deutschland fliehen mussten, der Begriff Heimat für den Verlust und das Herausgerissen-Sein aus einer vertrauten Umgebung steht.
Heimat wird hier mit Vertrautheit assoziiert. Beispiele wären Rose Ausländers Sehnsucht nach der Bukowina oder Mascha Kalékos Sehnsucht nach Deutschland.
In der Exil-Literatur der 1930er und 1940er Jahre ist viel von der Sehnsucht nach der verlorenen Heimat zu spüren. Andererseits ebenso viel Zorn über das Ausgestoßensein von dieser. Es ist oft keine reine Heimatliebe, sondern eine Hassliebe zur Heimat, die die SchriftstellerInnen im Exil bewegte. Die meisten wussten bewusst oder unbewusst um die Mehrheitsverhältnisse in Nazi-Deutschland, was zwar eine Diktatur war, die aber auf der Zustimmung der meisten Deutschen aufbaute.
Auch nach dem Ende dieser Zustimmungsdiktatur, war bei vielen, sofern sie die NS-Besatzung ihrer Fluchtländer überlebten, die Rückkehr nach Westdeutschland häufig geprägt von Enttäuschung. Nach ihrer Rückkehr in die Heimat blieben viele Ausgestoßene und AußenseiterInnen.
Die in die DDR zurückgekehrten ExilantInnen wurden häufig ebenso misstrauisch beäugt und besonders die RemigrantInnen aus dem Westen waren in den 1950er Jahren Ziel einer stalinistischen Säuberungskampagne, die zum Teil antisemitische Züge annahm.

Der Verlust der Heimat und die Klage darüber war auch jahrzehntelang das bestimmende Thema der Vertriebenenverbände in der Bundesrepublik. Dabei wurde aber von ihnen ihre Flucht, Vertreibung und Umsiedlung meist entpolitisiert und entkontextualisiert. Teilweise wurde über ihr erzwungenes Verlassen der Heimat geschrieben wie über eine Naturkatastrophe. Doch die „Rote Armee“ kam nicht zufällig nach Ostpreußen und viele flohen, weil sie wussten wie die deutsche Besatzung in Osteuropa gewütet hatte. Offiziell wurden aber die Umstände nicht benannt, die zu diesem Verlust der Heimat führten: Der Rasse- und Vernichtungskrieg, den die Deutschen im Osten führten. Zumal sich in der ersten Generation der Funktionärsriege der Vertriebenenverbände überwiegend altes NS-Personal wiederfand, was sich alte Welt- und Feindbilder bewahrt hatte.
Statt sich mit der eigenen Schuld bzw. der einer ganzen Generation auseinanderzusetzen, wurde in den Vertriebenenverbänden ein einseitiger Opfer-Diskurs gepflegt. Dieser wird mit Abstrichen bis heute weitergeführt, etwa indem so getan wird als seien die deutschen Ost-Vertriebenen und -Flüchtlinge die letzten Opfer Hitlers.
Im Gegensatz dazu haben die tatsächlich vor Hitler und seiner Volksgemeinschaft Geflohenen ihre Flucht nie entpolitisiert und entkontextualisiert. Es gibt zwar bei manchem und mancher viel Nostalgie und auch (enttäuschte) Vaterlandsliebe, doch die Gründe für die Flucht werden von den Flüchtlingen aus NS-Deutschland immer klar benannt. Es war die deutsche Volksgemeinschaft, die sie aus politischen, antisemitischen oder rassistischen Gründen verstoßen und vertrieben hatte.

Heimat und solche, die aus ihrer Enge entfliehen

Die mit Heimat verbundene positive Emotionalität macht aus dem Begriff eine Art Plüschbegriff. Der Appell an die Heimatliebe ist billig, auch weil er beliebig ausdeutbar und günstig zu haben ist. Jeder und jede kann den Begriff für ihre und seine Zwecke nutzen.
Auch der scheinbar unpolitische Heimat-Begriff kann nicht nur positiv gesehen werden.
Was für die eine Ordnung, Überschaubarkeit und Vertrautheit bedeutet, ist für den Anderen Enge und Kleingeistigkeit.
Besonders in kleinen Gemeinschaften wie Dörfern wird abweichendes Verhalten schnell registriert und sanktioniert. Gerade für viele Unangepasste und kosmopolitische Eingestellte kann die (geistige) Enge von Heimat ein negativer Abschnitt in ihrer Biografie darstellen. LSBTTIQ*, rebellische Jugendliche, selbstbewusste Frauen* kehren ihrer Heimat deswegen häufig den Rücken. Für sie ist der Leidensdruck hier höher als für KonformistInnen. Manche der NonkonformistInnen flüchten geradezu vor den erstickenden Zuständen in kleinen Orten. Etwa Angehörige linksalternativer Subkulturen, die permanent neonazistischer Gewalt ausgesetzt sind, die von dem Rest der Bevölkerung ignoriert oder gar toleriert wird.

Fazit: Keine Heimat, nirgends

Wie gezeigt wurde ist der Begriff Heimat meist nicht unpolitisch oder unproblematisch. Heimat ist in Deutschland in den letzten Jahren erkennbar zu einem Ersatzbegriff der Rechten für Nation und Volk geworden und zunehmend nimmt auch die politische Mitte darauf Bezug.
Hieß es früher „Deutschland über alles“, so heißt es heute eher „Heimat über alles“. Ein neuer Begriff für ein positives Wir-Gefühl. Da der Begriff vieldeutiger ist und bei vielen positiv besetzt ist, verhallt der rechte Appell an die Heimatliebe nicht ungehört. Auch etablierte PolitikerInnen stimmen verstärkt mit ein oder glauben das tun zu müssen.

Als analytischer Begriff ist „Heimat“ zu vieldeutig und zu emotional gebunden, um ihn verwenden zu können. Ebenfalls nicht taugt er als Begriff zum politischen Appell für emanzipatorische Zwecke. Auch wenn nicht-rechte PolitikerInnen oder Unternehmen ihn zur Mobilisierung einsetzen, ist er mehr als fragwürdig. Schon allein, weil seine völkische Deutung als Möglichkeit immer mitschwingt.

Andererseits kann der Begriff „Heimat“ lediglich nur das unmittelbare Zuhause einer einzelnen Person bezeichnen. In dieser Bedeutung ist der Begriff erst einmal unproblematisch, ist aber nicht geeignet damit Politik zu machen.
Auch sollte nicht ignoriert werden, das der Verlust für Heimat durch Flucht und Vertreibung für Menschen ein traumatisches Erlebnis ist. Doch sollten hier immer Kontexte benannt werden, um eine zeitgeschichtliche Einordnung zu gewährleisten.

So verbietet sich für eine emanzipatorische Linke ein positiver Heimat-Bezug. Es gibt keine erkennbare fortschrittliche Aneignung des Begriffs. Theodor W. Adorno meinte einst: „Es gibt keine Heimat mehr als eine Welt, in der keiner mehr ausgestoßen wäre, die der real befreiten Menschheit.“ Wer sich also heute irgendwie positiv auf die Heimat bezieht, die/der verteidigt aktuelle Zustände.

 

 

§219a oder: Das gute Gewissen von Abtreibungsgegnern

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Ein kurzer Kommentar zu Jens Spahn&Co

von Jonathan C. Brehmer

In letzter Zeit ist viel von Leben die Rede. Genauer gesagt von menschlichem Leben und seinem Wert, den es zu verteidigen gelte: „Selbst wenn ein Mensch noch nicht geboren ist, hat sein zukünftiges Leben bereits einen Wert. Eine Abtreibung zerstört dieses kostbare menschliche Leben.“

Es gibt sowohl gute Argumente für als auch gegen Abtreibungen und eigentlich sollte längst selbstverständlich sein, dass das die Frauen selbst zu entscheiden haben. Es ist aber schon verwunderlich, wie auf einmal wieder manche Leute ihr Herz entdecken und glauben, menschliches Leben schützen zu müssen. Ging es doch gerade noch um Tafeln, Hartz IV und Flüchtlinge. Merkwürdigerweise blieb hier der große Aufschrei aus. Eine Lösung wurde ohnehin nicht präsentiert. Keiner müsse leiden, allen gehe es gut, man jammere auf hohem Niveau oder versuche nur, die Rechte anderer zu beschneiden und gleich das ganze Sozialsystem eines Staates schamlos auszunutzen unter dem Vorwand, Flüchtling zu sein. Die Liste ließe sich beliebig erweitern. Dieselskandal? War da nicht was mit Luftverpestung in den Städten, durch die wahrscheinlich hunderttausende eine verkürzte Lebensdauer haben werden – abgesehen von der schlechten Lebensqualität dank Gestank und Lärm? Ach nein, die armen Autofahrer werden nur betrogen. Rüstungsexporte? Werden nicht wissentlich Waffen an kriegführende Despoten geliefert und massenhaft Tod und Vertreibung in Kauf genommen? Ach nein, wenn die deutsche Wirtschaft keine Panzer liefert, macht es eben ein anderer – schützen wir also lieber unsere Arbeitsplätze!

In einer Welt, in der sich Elend, Gewalt, Ressourcenkämpfe und brutaler Egoismus so schnell ausbreiten, ist es zynisch, sich über eine Abtreibung aufzuregen. Manch selbsternannte Menschenrechtler und Ethiker, darunter auch führende Politiker, scheinen sehr große Ehrfurcht vor Leben zu haben, das es noch nicht gibt. Geht es jedoch um bereits lebende Menschen, zeigen sie eine sozialdarwinistische Einstellung, die Menschlichkeit ökonomischer Rationalität unterordnet. Soll doch jeder selbst schauen, wo er bleibt. Kinderarmut? Sozialer Abstieg? Leben am Existenzminimum? Marode Gesundheitsversorgung? Verfolgung, Krieg und Ausbeutung? Sollen die Schwachen bitte alleine bewältigen! Und nicht noch anderen auf der Tasche liegen.

Aber ein ungeborenes Kind, dessen Mutter vielleicht selbst bereits in der Armutsfalle sitzt, dessen Zukunftschancen und dessen Bildungsweg vorgezeichnet sind, ein Kind, das ohne Vater aufwachsen wird und vielleicht schon fürs Jugendamt prädestiniert ist, weil die werdende Mutter gar keine Mutter werden will – es muss geboren werden! Alles andere sei schließlich unmenschlich. „Man soll nicht Gott spielen“ heißt es in diesem Zusammenhang oft. Man dürfe nicht eingreifen in die Natur, sich nicht über menschliches Leben erheben. Schicksalsgläubigen mag dieses Argument genügen. Man sollte aber auch nicht Teufel spielen, Frauen ein schlechtes Gewissen machen und sie dazu zwingen, gegen ihren Willen eine Entscheidung zu treffen, die für alle Beteiligten mit höchster Wahrscheinlichkeit schmerzhafte und mindestens entbehrungsreiche Folgen haben wird. Sollte das Kind dann nach Lesart von Spahn&Co „dem Sozialsystem auf der Tasche liegen“, könnte es wohl kaum mit deren weiterer Empathie rechnen. Schließlich wäre es ja nicht mehr ungeboren. Das gute Gewissen der Akteure aber würde dadurch nicht beschädigt.

 

Audio: Zur Kritik der Prostitution: Theorie & Praxis

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Vortrag von Naida Pintul

gehalten am 21. März 2018 in Stuttgart

Prostitution kann zu Recht als eines der Goldenen Kälber des Feminismus bezeichnet werden: Kaum ein Thema erzeugt innerhalb feministischer Kreise so viele, teils erbittert geführte Kontroversen. Der liberale und queere Feminismus der Dritten Welle hat sich mittlerweile die Deutungshoheit erobert, Prostitution in »Sexarbeit« umbenannt und ihr empowerndes, gar emanzipatorisches Potential zugeschrieben. So heißt es, dass selbstbestimmte Sexarbeit mit dem Feminismus nicht nur vereinbar, sondern per se auch feministisch sei. Veranstaltungen wie die Ladyfeste lassen regelmäßig Frauen referieren, die das Narrativ der glücklichen Sexarbeiterin bedienen, in aller Regel in individualistisch-liberaler Manier. Was hier oft zu kurz kommt, ist jedoch zum einen die Frage, wie Prostitution in ihrer aktuellen Ausprägung gesellschaftlich ermöglicht wird, zum anderen sind es die Stimmen derjenigen Frauen in der Prostitution, die nicht das Narrativ vom »Job wie jeder andere« bedienen. Der Vortrag wird Prostitution vor dem Hintergrund patriarchaler Geschlechterverhältnisse aufrollen und ein Grundgerüst liefern, um diese Institution über individuelle Betroffenengeschichten hinaus zu analysieren.

Naida Pintul arbeitet ehrenamtlich in einer Beratungsstelle für Frauen in der Prostitution und fokussiert sich in ihrer politischen Arbeit als Feministin in der Tradition der Zweiten Welle neben der Sexindustrie auf den Islam bzw. die islamische Bedeckung, in dessen Verklärung zum Empowerment-Tool seitens Queerfeministinnen sie Parallelen zum Umgang mit Prostitution sieht.

Eine Veranstaltung in Kooperation von Laboratorium und Emanzipation und Frieden

There are Alternatives

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Nachdenken über eine nachkapitalistische Gesellschaft jenseits unterkomplexer Patentrezepte und totalitärer Abwege

Buchvorstellung und Diskussion mit Meinhard Creydt

Donnerstag, 24. Mai 2018, 19.30 Uhr, Stuttgart                                                      Laboratorium, Wagenburgstr.147

Ein Grund für die Schwäche sozialer Kritik und linker Politik besteht im Mangel an realitätstüchtigen Antworten auf die Frage, wie eine Gesellschaft ohne Kapitalismus aussehen kann und soll. 46 unbequeme Fragen sind es, die Creydt herausarbeitet und mit denen er dem Suchprozess nach einer grundlegenden gesellschaftlichen Alternative auf den Zahn fühlt. Alles, was als anstrebenswerte Realutopie antritt, kommt auf den Prüfstand: Wie vermögen solche Konzepte mit den mannigfaltigen Komplexitäten des sozialen Lebens in modernen Gesellschaften umzugehen? Wie entgehen sie der Regression in unterkomplexe Patentrezepte? Der Band fragt nicht naiv nach einer nachkapitalistischen Zukunft, sondern verarbeitet die Erfahrungen mit zu harmlosen Reformkonzepten und totalitären Abwegen. Der Band wendet sich an alle, die Tamara („There are many and real alternatives“) Tina („There is no alternative“) vorziehen. Creydts Überlegungen betreffen Lebensweisen, Strukturen und Institutionen sowie das Verständniv vom „guten Leben“ in der nachkapitalistischen Gesellschaft.

Meinhard Creydt, 46 Fragen zur nachkapitalistischen Zukunft. Erfahrungen, Analysen, Vorschläge, 2016, Verlag Westfälisches Dampfboot
Detailliertes Inhaltsverzeichnis
Rezension

Meinhard Creydt, geb. 1957, Soziologe, Psychologe, Dr. phil.; lebt und arbeitet in Berlin, veröffentlichte u. a. Theorie gesellschaftlicher Müdigkeit Frankfurt a. M. 2000, Wie der Kapitalismus unnötig werden kann. Münster 2014 (2. Aufl. 2016), Die Armut des kapitalistischen Reichtums und das gute Leben. München 2017
Die meisten seiner Artikel in Zeitschriften und Sammelbänden finden sich auch unter www.meinhard-creydt.de

Eine Veranstaltung in Kooperation von Laboratorium Stuttgart und Emanzipation und Frieden

 

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