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Channel: Individuum – anti-capitalism revisited

Fallstricke der Emanzipation

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Autoritäres und Regressives in der Linken gestern und heute

Vortrag und Diskussion mit Lothar Galow-Bergemann

Montag, 13. November 2023, 19 Uhr, Wien

[Neuer Ort:] Kunststankstelle Ottakring, Grundsteingasse 45, 1160 Wien

Eine Veranstaltung von encommun.at

Alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. Besser lassen sich Anspruch und Programm menschlicher Emanzipation nicht auf den Punkt bringen. Wenn der Begriff Links Sinn hat, dann diesen. Oft sehen linke Theorie und Praxis jedoch ganz anders aus. Was längst überwunden sein sollte, lebt auch in vielen linken und linksradikalen Strukturen und Denkweisen fort: Die Herrschaft von Zwangsgemeinschaften und von Menschen über andere Menschen.

Das kann sich in Männlichkeitskult und sexistischem Verhalten äußern, in der Vorliebe fürs Agitieren statt fürs Argumentieren oder in der Vorstellung, antifaschistische Akteur*innen seien stets im Recht, was auch immer sie tun. Aber auch im Glauben, man sei zur „Führung der Arbeiterklasse“ berufen. Der Griff in die Mottenkiste staatssozialistischer Parteidiktaturen und Sympathie für autoritäre Führergestalten wie Lenin liegen da oft nahe. Der Glaube, „die Klasse und das Volk“ brauche eigentlich nur die richtigen Führer, korreliert zudem mit zwei ebenso absurden wie folgenreichen Fehleinschätzungen: Nationalsozialismus und Antisemitismus seien die Folge rechter Verführungskünste und bürgerlich-rechtsstaatliche Verhältnisse seien letztlich ebenfalls „faschistisch“.

Autoritäres lebt auch in einem „Antiimperialismus“, der den Westen grundsätzlich immer zum „eigentlich Schuldigen“ an internationalen Konflikten erklärt und dabei den Charakter autoritärer Regime ignoriert oder relativiert. Regressives kann sich auch in gut gemeinter antirassistischer Absicht verstecken. Unterordnung von Individuen unter Zwangsgemeinschaften gibt es auch in Form unreflektierter Verteidigung für sakrosankt erklärter „Kulturen“, denen Menschen zugeordnet werden. Und wo Antisemitismus als eine Art Rassismus missverstanden wird, ist man blind für eine wahnhafte „Welterklärung“, die in Krisenzeiten rasend schnell um sich greifen und zum mörderischen Flächenbrand werden kann.

Mit unverstandener Dynamik regressiver Krisenverarbeitung hat auch eine weitere Form des Autoritären zu tun: Die Projektion der faschistischen Gefahr auf ein vermeintlich Äußeres – häufig auf „den“ Islam. Einsichten in die Genese des Antisemitismus können so verschüttet und Distanz zu „rechtspopulistischen“ Positionen verloren werden.

Was unterscheidet Kapitalismuskritik von antikapitalistischem Ressentiment? Welche Mindestanforderungen müssen emanzipatorische Bewegungen erfüllen?

Lothar Galow-Bergemann begann 1971 in der Krankenpflege zu arbeiten und war aktiver Gewerkschafter und Personalrat im Klinikum Mannheim und im Klinikum Stuttgart. Er hält die Überwindung des Kapitalismus für dringender denn je, kennt aber auch die Verirrungen linker Holzwege und glaubt, man sollte aus ihnen lernen. Er schreibt u.a. für Jungle World und Emanzipation und Frieden


Eritrea: Der lange Arm des Regimes und die Hölle, in die Geflüchtete abgeschoben werden sollen

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Zu Hintergründen der Krawalle in Stuttgart

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 656 am 25. Oktober 2023)

Die Flucht aus Eritrea ist noch nicht das Ende der Verfolgung. Der Machtapparat des Diktators hat seine Landsleute auch im Ausland im Blick. Aster Ghidey traut sich als eine der wenigen, ihre Kritik öffentlich zu äußern – und ist frustriert, dass Aufmerksamkeit erst nach Gewaltexzessen folgt.

Augenblicklich schlägt die Stimmung um, die Heiterkeit ist verflogen. Der Wirt möchte in nichts verwickelt werden und lächelt zwar noch. Aber plötzlich wirkt es nicht mehr wärmend. Leider kann er nichts über die Lage in Eritrea sagen, bringt er mit zusammengepressten Lippen hervor – und bittet, ihn nicht zu zitieren, keine Details über sein Lokal zu nennen oder sonstige Informationen öffentlich zu machen, über die er identifiziert werden könnte.

So viel Vorsicht ist anscheinend nicht unüblich, wenn Eritreer:innen nach den Zuständen in der Folterdiktatur befragt werden. Der lange Arm des Regimes reicht weit. So berichtet auch die „Zeit“, sie habe „mehrere Wochen lang in der eritreischen Community recherchiert, bei einigen Angehörigen herrschte Angst, sie wollten nicht einmal anonym zitiert werden“. Bis sie endlich jemand gefunden haben, der unter geändertem Namen erzählt, wie Anhänger:innen des eritreischen Herrschers Isayas Afewerki ihre geflüchteten Landsleute auch im Ausland bedrohen. Die Quelle schildert einen nächtlichen Anruf, den sie dokumentiert hat. „Hör mal, ich weiß, wo du wohnst. Du hast zwei Kinder, denk an sie“, heißt es im Protokoll. „Eine Kugel von einem Albaner reicht. Ich sorge dafür, dass ihr im Rollstuhl landet.“

Dass es sich bei den Einschüchterungsversuchen nicht nur um leere Drohungen handelt, zeigen die Fälle von Eritreer:innen im Exil, die sich kritisch zum Regime geäußert haben und deren Angehörige in der Heimat kurz darauf verschwunden sind. Diese brutale Politik führt zu einer Mauer des Schweigens, auch in Deutschland. Wo sich kaum jemand traut, offen zu reden, ist die Stuttgarterin Aster Ghidey eine Ausnahme. „Nach der Flucht vor dem Diktator erwarten uns hier seine Leute“, sagt sie bitter und räumt ein, sich manchmal große Sorgen zu machen. „Aber wenn sie mich zum Schweigen bringen, haben die Regimetreuen gewonnen.“ Das Thema ist der 53-Jährigen so wichtig, dass „ich mit meinem Namen und Gesicht dafür einstehen muss“. Deswegen engagiert sie sich in der Gruppe „United4Eritrea“, ein Zusammenschluss regimekritischer Diaspora-Eritreer:innen, der schon seit 2010 versucht, auf die „unduldbaren Zustände“ in der Militärdiktatur aufmerksam zu machen.

Verarmt, aber nicht friedlich

Ghidey ist seit 1990 deutsche Staatsbürgerin, sie „denkt und träumt auf Deutsch“. Über Kontakte bekommt sie dennoch viel mit über die Zustände im Heimatland ihrer Mutter – auch wenn sich ihr Cousin nicht traut, am Telefon mit ihr zu reden.

Nach einem 30 Jahre währenden Krieg erreichte Eritrea 1993 die Unabhängigkeit von Äthiopien. Doch die großen Hoffnungen, dass sich mit Staatsoberhaupt Afewerki, dem Anführer der Volksbefreiungsfront, nun alles zum Besseren wenden würde, blieben unerfüllt. Unter dem Präsidenten, der sich nie einer demokratischen Wahl gestellt hat, sei das Land bis an den Rande des Kollaps herabgewirtschaftet worden, sagt Ghidey. Es gebe so gut wie keine funktionierenden Fabriken und Universitäten, kaum Zukunftsperspektiven für die Jungen, die öffentliche Daseinsvorsorge sei quasi nicht existent. Dass der Staat noch nicht zusammengebrochen ist, liegt laut Ghidey vor allem an zwei Faktoren: Ohne das viele Geld, das Eritreer:innen aus dem Ausland überweisen, ginge der letzte Rest an ökonomischem Fundament verlustig. Zudem sorge der Militärapparat dafür, dass der Staat die eigenen Bürger:innen zur Zwangsarbeit versklaven könne.

„Lange galten Eritreer als Wirtschaftsflüchtlinge aus einem verarmten, aber friedlichen Land“, schrieb der Münchner Ethnologie-Professor Magnus Treiber kürzlich in einem Gastbeitrag für die „Neue Zürcher Zeitung“. So hätte sich die Revolution „einst Frieden und Bildung, Gleichberechtigung und Prosperität auf die Fahnen geschrieben“. Doch Präsident Afewerki sei es gelungen, „Vielstimmigkeit und Kritik zu einer Gefahr für die nationale Einheit umzudeuten und die Angst zu schüren, die errungene Unabhängigkeit gehe ohne ihn wieder verloren“. Die jüngsten Massenschlägereien hätten nun die Illusion eines friedlichen Landes zerstört – „allerdings um den Preis, die gesamte demokratische Opposition in Verruf zu bringen“.

In diversen westlichen Städten hat es in den vergangenen Monaten rund um Veranstaltungen mit Eritrea-Bezug schwere Krawalle gegeben: Zweimal im hessischen Gießen, in Stockholm, Seattle, Toronto, in Tel Aviv und am 16. September dieses Jahres in Stuttgart.

Aster Ghidey war dabei, als die Lage in der baden-württembergischen Landeshauptstadt eskalierte. Dort rief ein sogenanntes „Eritrea-Seminar“ Protest auf den Plan. Laut den Seminarveranstalter:innen soll es sich um ein ganz normales Bildungs- und Kulturangebot gehandelt haben. Oppositionelle vermuten, es sei in Wahrheit ein Propagandaprogramm der Regimetreuen gewesen. Ghidey sagt, sie gehe schon seit 2016 gegen solche Versammlungen auf die Straße. Immer friedlich – und immer ohne dass sich jemand dafür interessiert hätte. Am 16. September, sagt sie, hätte sie der Polizei sogar geholfen, die Randalierenden einzukesseln. Insgesamt wird es an diesem Abend 228 Festnahmen geben, die Aggression ging von Gegner:innen des eritreischen Diktators aus. „Gewalt darf nie ein Weg sein“, beharrt Ghidey im Gespräch mit Kontext. Und sie wirkt sehr betrübt, als sie feststellt, dass die mediale Aufmerksamkeit für die Zustände in Eritrea noch nie so groß war wie seit den Ausschreitungen. „Bitte beachtet uns auch so“, lautet ihr Wunsch.

Die Justizministerin will trotzdem abschieben

Verfügbar wären Informationen über die Missstände schon lange. In einem Sonderbericht für die Vereinten Nationen (UN) sind schon 2013 schwerste Menschenrechtsverletzungen dokumentiert: von außergerichtlichen Tötungen, dem gezielten Verschwindenlassen Oppositioneller bis zu Folter gegen die eigene Bevölkerung. Der verpflichtende Wehrdienst kann unbefristet verlängert werden und wer eingezogen ist, hat sich lange nicht nur um militärische Angelegenheiten zu kümmern, sondern muss beispielsweise auch Kranke pflegen, wenn der Staat irgendwo Bedarf für den Einsatz erzwungener Arbeitskraft identifiziert. Der UN-Bericht schildert, dass die desaströsen Zustände sogar Sieben- und Achtjährige dazu bewegen, sich alleine auf die Flucht zu begeben. Obwohl an den Grenzen scharf geschossen wird, um Landesverräter:innen aufzuhalten.

Aster Ghidey bestätigt diese Schilderungen mit einem traurigen Kopfnicken. Die ökonomische Lage sei schlimm genug. So könne es schonmal vorkommen, dass Menschen in der Hauptstadt Asmara 15 Stunden für einen Eimer sauberes Wasser anstehen müssen. Die staatliche Verfolgung sei aber mindestens genauso schlimm. Ghidey selbst kennt drei Menschen, die seit über 30 Jahren im eritreischen Gefängnis sitzen, weil sie nicht zu den Waffen greifen wollten. Beinahe ebenso lange berichtet sie von diesen Zuständen, ohne Gehör zu finden. Angesprochen auf die Politik, wirkt sie resigniert und hat den Eindruck: Alle wollen nur noch abschieben, abschieben, abschieben, egal wohin und in welche Verhältnisse. „Die CDU unterscheidet sich da rhetorisch ja kaum noch von der AfD und bei den Grünen und der SPD frage ich mich nur noch, was aus diesen Parteien eigentlich geworden ist.“ Gesagt hat Ghidey das noch bevor Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am 20. Oktober das Cover des „Spiegel“ zierte mit seiner Forderung: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.“

Mit sieben Kugeln im Leib über die Grenze

Humanitäre Mindestansprüche sind dabei längst unter Druck geraten. So erkennt Baden-Württembergs Justizministerin Marion Gentges (CDU) zwar an, dass Eritrea eine Diktatur sei, in der es „schwere Menschenrechtsverletzungen und Folter“ gebe. Nun sind Abschiebungen bei einer akuten Gefährdung schlichtweg illegal. Im typischen Duktus des Rechtspopulismus folgt jedoch ein Aber. So will die Justizministerin diskutieren, ob man „bei schwersten Straftaten“ – gemeint sind dabei nicht Mord oder Totschlag, sondern Landfriedensbruch und Körperverletzung – nicht den „Schutz für entsprechende Straftäter etwas absenkt“.

Gentges moniert gegenüber dem SWR, dass Eritreas Behörden Abschiebeflüge verhindern würden, indem sie ihren Staatsbürgern keine Passersatzpapiere ausstellen. Deshalb brauche es nun das entschlossene Handeln des Bundes und auch der Europäischen Union, „um diesen Widerstand zu brechen“ – ganz als sei das Problem der bürokratische Ungehorsam des Diktators, Menschen wieder aufzunehmen, und nicht die höllischen Verhältnisse, in die Deutschlands Rechte sie schicken wollen.

Um diesen zu entfliehen, setzen viele ihr Leben aufs Spiel. Die UN haben den Fall einer Frau dokumentiert, die es mit sieben Kugeln im Leib über die Grenze schaffte. Selbst nach der Flucht hat die Verfolgung kein Ende: Die „Süddeutsche Zeitung“ hat mehrere Fälle von eritreischen Dolmetschern recherchiert, die absichtlich zu Ungunsten von Geflüchteten falsch übersetzt haben sollen, weil sie dem Regime nahestehen. So wird dann aus einem Geburtsort in Eritrea einer in Äthiopien und die Chancen auf Asyl sinken von etwa 90 Prozent auf 25 Prozent. Erst recht, wenn aus dem Fluchtgrund Folter plötzlich „wirtschaftliche Probleme“ werden.

Wenn Dolmetscher zu Dichtern werden

Die Linken-Abgeordneten Kathrin Vogler, Ulla Jelpke und Michel Brandt haben sich 2019 bei der Bundesregierung erkundigt, wie absichtlichen Fehlübersetzungen ein Riegel vorgeschoben werden soll. Die ernüchternde Antwort: „Zur Überprüfung der persönlichen Zuverlässigkeit erteilen Personen, die sich beim Bundesamt als Sprachmittelnde bewerben, eine Selbstauskunft.“ Die „Welt“ beschrieb schon 2015, dass es kaum Sanktionsmechanismen gibt, wenn Dolmetscher zu Dichtern werden. Denn sogar wenn beim BAMF jemand erwischt wird, „falsch zu übersetzten, muss er keine Konsequenzen fürchten. Schließlich ist er nicht be- oder vereidigt. Das müssen Dolmetscher nur für die Arbeit vor Gericht sein. Im schlechtesten Fall erhält er keine weiteren Aufträge vom BAMF“.

Während die Bundesregierung behauptet, ihr lägen „keine Informationen zu Sprachmittelnden vor, die der eritreischen Regierung nahestehen und in Asylverfahren eingesetzt werden“, nennen direkt oder indirekt Betroffene konkrete Größenordnungen. Ein anonymisiertes Mitglied im eritreischen Verein Mekri sagte dem „Spiegel“, in etwa einem Drittel aller Fälle würden Eritreer:innen zu Opfern falscher Übersetzungen, die die Brutalität der Regierung meist drastisch herunterspielen.

Denn harmlos ist die Flucht für niemanden, versichert Stefan Schmidt (Name geändert). Der Rentner ist, zusammen mit seiner Frau, seit Jahrzehnten in der Böblinger Flüchtlingshilfe aktiv. Eine Einrichtung in der Stadt ist schon länger von Menschen aus Eritrea bezogen, die langfristig in der Bundesrepublik bleiben werden. Wie in Deutschland manche Menschen als Onkel oder Tante bezeichnet werden, obwohl sie keine biologischen Verwandten sind, hätten die Eritreer:innen sie schnell „Mama“ und „Papa“ genannt. Und dennoch: Bei Fragen nach ihrer Vergangenheit seien fast alle wortkarg und einsilbig geworden, schildert Schmidt. Sie sind schwer traumatisiert. Es habe viele Jahre gedauert, bis die ersten aufgetaut sind und beim gemeinsamen Abendessen plötzlich anfingen, zu erzählen. Schmidt sagt, damit sie sich so öffnen können, brauche es eine solide Vertrauensbasis. Das gehe nicht von heute auf morgen.

Audio: Konformistische Rebellen des kapitalistischen Patriarchats

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Eine materialistische Kritik von Männern und Männlichkeit

Vortrag von Kim Posster

gehalten am 15. Juni 2023 in Stuttgart

Wenn heute von Männlichkeit die Rede ist, geht es meist um unterschiedliche Identitätsentwürfe oder kulturelle Vorstellungen. Von besonderem Interesse scheint dabei zu sein, welche Männlichkeit denn nun die „gute“ oder wenigstens „bessere“ wäre und was dafür Männer an ihrer eigenen Männlichkeit zu ändern hätten.

Dagegen soll es im Vortrag darum gehen, Männlichkeit grundsätzlich als patriarchale Subjektivität zu bestimmen. Als ein bestimmtes Verhältnis, das die Einzelnen im kapitalistischen Patriarchat zu sich selbst, anderen und der Welt einnehmen, welches schon immer auf Zwang, Herrschaft und geschlechtlicher Abspaltung beruht. Dabei soll gezeigt werden, wie Männlichkeit einerseits notwendig aus den abstrakten Vergesellschaftungsformen unter Staat und Kapital entsteht und gleichzeitig nicht zu haben ist, ohne den misogynen Souvernitätswahn der Einzelnen, die wir Männer nennen.

Kim Posster war an mehreren Versuchen der organisierten Reflexion von Männlichkeit beteiligt, die er mittlerweile als gescheitert betrachtet. Er publiziert zu materialistischem Feminismus und organisierter Männlichkeitskritik.

Eine Veranstaltung von Laboratorium Stuttgart und emma&fritz

Dein Bauch gehört mir

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Zum patriar­chalen Kern des Autori­tarismus

Vortrag und Diskussion mit Larissa Schober

Donnerstag, 25. Januar 2024, 19.30 Uhr, Stuttgart

Laboratorium, Wagenburgstr.147

Es war ein politisches Erdbeben, als der Oberste Gerichtshof der USA am 24. Juni 2022 Roe vs. Wade aufhob. Das Grundsatz­urteil garantierte bis dato das Recht auf Abtreibung. Die Entscheidung war jedoch nur der vorläufige Höhepunkt einer langen Entwicklung und kam nicht überraschend. Genauso wenig ist es Zufall, dass die autoritären Bewegungen, die weltweit auf dem Vormarsch sind, als erstes die Rechte von Frauen und Queers attackieren. Es geht dabei nicht um religiöse Gefühle oder Identitätspolitik, sondern um den Beginn eines autoritären Umbau der Gesellschaft – denn Geschlechterverhältnisse und autoritärer Charakter sind eng verknüpft. Der Vortrag gibt einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen sowohl in den USA als auch in Deutschland und zeigt auf, was Patriarchat und Autoritarismus miteinander zu tun haben.

Larissa Schober ist Redakteurin beim iz3w Freiburg und Freie Journalistin/Speakerin
Twitter: https://twitter.com/LarissaSchober

Eine Veranstaltung von Laboratorium Stuttgart und emma&fritz

Das Sklavenschiff und die Entstehung des Kapitalismus

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Buchrezension von Nele Fuchs

(zuerst erschienen bei krisis am 21. November 2023)

In seinem Buch „Das Sklavenschiff“ beschreibt der Historiker Marcus Rediker die grausamen Zustände auf den Sklavenschiffen des 18. Jahrhunderts. Durch mitreißende Erzählungen lässt er die Leser∙innen am unvorstellbaren Leid der Verschleppten und Versklavten auf den Schiffen teilhaben. Rediker setzt eine Vielzahl von Biografien wie ein Mosaik zusammen und beschreibt damit jenes Instrument, ohne das die Sklaverei und die Entwicklung des globalen Kapitalismus nicht möglich gewesen wäre: das Sklavenschiff.

Im literarischen Stil wird Geschichte from below erzählt, inspiriert von E. P. Thompsons The Making of the English Working Class. Es geht um die gewaltsame Einhegung von Menschen in den Kapitalismus, die mit verzweifelten Akten des Widerstandes versuchten, dem zu entkommen. Hungerstreik, Selbstmord und Revolte gehörten auf den Sklavenschiffen genauso zum Alltag, wie der Terror des despotischen Kapitäns und die bestialische Gewalt der Besatzung gegen die Versklavten.

Das Sklavenschiff ist für Rediker eine Kombination aus Kriegsmaschine, mobilem Gefängnis und Fabrik. Er betrachtet die Schiffsbesatzung als Produzenten der Ware Sklave, ähnlich wie Arbeiter∙innen in einer Fabrik Waren herstellen. Die Produkte sind Arbeitskräfte, die über den Atlantik verschifft und in einen international organisierten Arbeitsmarkt überführt werden. Was der spezifisch historische Charakter der kapitalistischen Produktion zur Zeit des transatlantischen Sklavenhandels ist, beantwortet Rediker allerdings nicht. Ebenso bleibt offen, wie genau Waren und Wert an Bord produziert werden. Es scheint vielmehr so, dass die bloße Tatsache, dass ein Sklave auf den Märkten der Amerikas mehr Geld einbringt als auf denen an der westafrikanischen Küste, den Autor dazu bewegt, von einer Wertproduktion auf den Schiffen zu schreiben. Rediker geht hier implizit davon aus, dass kapitalistische Produktionsverhältnisse kategorial bereits entwickelt sind. Mir scheint das Einhegen von Sklaven in den globalen Kapitalismus dagegen ein Prozess der sogenannten ursprünglichen Akkumulation (Marx) zu sein. Menschen werden demnach aus vorkapitalistischen Gesellschaften in den Kapitalismus hinein verschifft. Auf den Schiffen werden die Versklavten gewaltsam zu einer ökonomischen Abstraktion degradiert: zur Ware Sklave. Wenn die Versklavten jedoch als Waren wie Zucker oder Tabak bestimmt werden, gerät das spezifische Gewaltsystem aus dem Blick, welches dafür sorgt, dass die Menschen zu Waren werden. Auf den Schiffen herrschte ein widerlicher Balanceakt zwischen Folter, Zwangsernährung und blutigem Niederschlagen von Revolten.

Rediker folgt der viel zitierten These von Eric Williams, dass Rassismus eine Folge der Sklaverei ist und nicht umgekehrt. Das Sklavenschiff stellt für ihn einen entscheidenden Schlüssel dar, um den historischen Ursprung des Rassismus zu verstehen. Die Besatzung war demnach beim Betreten des Schiffs in ihren Heimathäfen durch einen Klassengegensatz geprägt: auf der einen Seite der Kapitän, der das Handelskapital repräsentierte, und auf der anderen Seite die Seemänner, die aus England, Irland, Schweden, Haiti oder Westafrika stammten. Auf dem Weg zur westafrikanischen Küste wurde dieser Gegensatz von dem Terror des Kapitäns aufrechterhalten und zementiert. Mit der Verladung der Versklavten an der westafrikanischen Küste wurde der Gegensatz schwächer, denn nun musste die Besatzung kooperieren, um die Waren lebendig über den Atlantik zu transportieren. Ein neuer Antagonismus entstand, ein Disziplinierungsinstrument, das Rasse genannt wurde.

Redikers Perspektive müsste um eine historisch-kategoriale Einordnung der Genese kapitalistischer Produktion erweitert werden, um den Zusammenhang von Sklaverei, Rassismus und Kapitalismus genauer bestimmen zu können. Oder anders ausgedrückt: Die Erkenntnisse des Buchs müssen noch in eine schlüssige Gesellschaftstheorie eingebettet werden.

Marcus Rediker: Das Sklavenschiff. Eine Menschheitsgeschichte. Berlin/Hamburg: Assoziation A 2023, 479 S., 24 €

Sticker: Free Gaza from Hamas

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Alle unsere Sticker sind unter der Creative Commons Attribution-NonCommercial 4.0 International Public License frei verfügbar, um sie z.B. selbst in den Druck zu geben. Siehe hier.

Bestellungen per Mail an bestellungen[at]emanzipationundfrieden.de

Benjamin Blümchen und der Kampf der Klassen

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Eine Parodie mit Lara Wenzel & Matheus Hagedorny (Leipzig)

Donnerstag, 14. März 2024, 19.30 Uhr, Esslingen/Neckar

KOMMA Jugend und Kultur, Maille 5-9, 73728 Esslingen

Benjamin Blümchen ist ein sprechender Elefant im Neustädter Zoo. Immer wieder schlüpft er in neue Rollen und probiert Berufe aus. Doch seine Treue gilt dem Zoo, der sich mehr schlecht als recht über Wasser hält.
Als die Belegschaft mit Streik droht, weiß er weder ein noch aus. Unterstützt er den Arbeitskampf um Zoowärter Karl, Würstchenbräter:in Noa und Verwaltungsmitarbeiterin Anette? Oder hält er sich an Zoodirektor Herr Tierlieb, der ihm sonst seine Zuckerstückchenration kürzen will? Wird Benjamin aus dem Verblendungszusammenhang befreit werden? Das Publikum wird mitentscheiden, wie der Arbeitskampf politisch umgesetzt wird.

Die Parodie „Benjamin Blümchen und der Kampf der Klassen“ zeigt die Konflikte zwischen Arbeit, Kapital und Staat. Sie zerlegt die beliebte Figur aus der Hörspielreihe in ihre Einzelteile und unterzieht sie einem ideologiekritischen Stresstest. Welche liberalen, konservativen und sozialistischen Elemente verstecken sich zwischen den Gehegen? Und wie staatstragend ist der Dickhäuter eigentlich? Diese Fragen erörtern Wenzel & Hagedorny erst szenisch, dann wird ihre Deutung des Elefanten vor dem Publikum zur Diskussion gestellt.

Spielzeit: ca. 45 Minuten + anschließende Diskussion

Eine gemeinsame Veranstaltung von KOMMA Jugend und Kultur und Emanzipation und Frieden

Lara Wenzel, geboren 1998 in Rudolstadt, studiert Theater- und Kulturwissenschaften an der Universität Leipzig. Seit 2020 schreibt sie als freie Autorin u.a. für Theater der Zeit, neues deutschland und den Freitag. Sie ist Teil des feministischen Performance-Kollektivs IRIS X. Im Sommer 2022 hat sie eine künstlerische Forschungsresidenz am WUK Theaterquartier Halle inne und arbeitet im Rechercheprojekt „erinnerungsbühne:ost“.
Matheus Hagedorny, geboren 1986 in Kędzierzyn-Koźle, ist Historiker und schreibt eine Dissertation über intellektuellen Rechtsextremismus. Texte von ihm erschienen in der Jungle World, konkret und der Neuen Zürcher Zeitung. 2019 erschien im ça ira-Verlag sein Buch „Georg Elser in Deutschland“ über die Ideen- und Rezeptionsgeschichte des Bürgerbräu-Attentats vom 8. November 1939.

Schikane als Balsam für die bürgerliche Seele

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Arbeitsminister Hubertus Heil plant den Bürgergeld-Entzug für Arbeitsunwillige. Eine Spiegel-Kolumnistin führt unter Verweis auf die Studienlage aus, dass die Maßnahme nichts bringen wird  und bezeichnet sie dennoch als „notwendig“ – damit sich die Arbeitenden besser fühlen.

von Minh Schredle

[zuerst erschienen bei Disposable Times]

14 Jahre nach Inkrafttreten der Harz-IV-Reformen urteilte das Bundesverfassungsgericht im Januar 2019 über die Rechtmäßigkeit von Sanktionen zur Durchsetzung sogenannter Mitwirkungspflichten, die der deutsche Staat Erwerbslosen und Sozialhilfe-Empfänger:innen auferlegt. Gängig und sogar gesetzlich zwingend vorgeschrieben war es zu diesem Zeitpunkt, die staatlichen Leistungen, mit denen ein menschenwürdiges Existenzminimum gesichert werden sollte, schrittweise zu kürzen: Beim ersten Regelverstoß gegen die Mitwirkungspflichten – zum Beispiel durch die Ablehnung einer als zumutbar eingestuften Beschäftigung – um 30 Prozent, beim zweiten Mal um 60 Prozent und schließlich um 100 Prozent.

Das Bundesverfassungsgericht stellte damals klar, dass die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ein Grundrecht darstelle. „Die den Anspruch fundierende Menschenwürde steht allen zu und geht selbst durch vermeintlich ‚unwürdiges‘ Verhalten nicht verloren“, hieß es in der Urteilsbegründung, die die damalige Sanktionspraxis als teilweise verfassungswidrig einstufte: Die Kürzungen von 60 und 100 Prozent der Bezüge wurden für rechtswidrig erklärt.

Allerdings schrieben die Richter:innen auch: „Das Grundgesetz verwehrt es dem Gesetzgeber aber nicht, die Inanspruchnahme existenzsichernder Leistungen (…) nur dann zur Verfügung zu stellen, wenn Menschen ihre Existenz nicht vorrangig selbst sichern können, sondern wirkliche Bedürftigkeit vorliegt.“

Daher bleibt dem Gesetzgeber weiterhin ein Spielraum, wie Sanktionen ausgestaltet werden können, verbunden mit der Einschränkung, dass Maßnahmen verhältnismäßig und zielführend sein müssen. Prinzipiell wäre nach Einschätzung des Gerichts auch eine Regelung mit dem Grundgesetz vereinbar, die Bezüge um 100 Prozent kürzt, allerdings nur unter strikten Voraussetzung. Nämlich „wenn und solange Leistungsberechtigte es selbst in der Hand haben, durch Aufnahme einer ihnen angebotenen zumutbaren Arbeit (…) ihre menschenwürdige Existenz tatsächlich und unmittelbar durch die Erzielung von Einkommen selbst zu sichern. Ihre Situation ist dann im Ausgangspunkt derjenigen vergleichbar, in der keine Bedürftigkeit vorliegt, weil Einkommen oder Vermögen aktuell verfügbar und zumutbar einsetzbar sind.“

Mit dem Bürgergeld, das im Januar 2023 an die Stelle von Hartz-IV trat, war eigentlich eine Abkehr vom Bestrafungssystem für Leistungsempfänger:innen geplant. Doch dieser Grundsatz soll in einer geplanten drastischen Kehrtwende ausgehebelt werden. Aktuell bemüht sich Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), das vom Bundesverfassungsgericht offen gelassene Schlupfloch zu nutzen, um Arbeitsunwilligen erneut das Existenzminimum streichen zu können. Ob eine verfassungskonforme Umsetzung möglich ist, scheint jedoch fraglich. Um eine Komplettstreichung der Grundsicherung zu rechtfertigen, müsste die abgelehnte Erwerbstätigkeit nach Tenor des Bundesverfassungsgerichts geeignet sein, tatsächlich das komplette Existenzminimum abzusichern, inklusive aller Wohn- und Heizkosten. Der Spiegel berichtet allerdings: „Heil will aber auch jenen den Regelbedarf komplett streichen, die eine Arbeit ablehnen, wenn sie ihren Anspruch auf Bürgergeld lediglich verringern würden, weil der Lohn nicht reicht, um ihre Existenz und die ihrer Familie allein damit zu sichern.“ Dies sei laut Spiegel „sozialpolitisch verständlich“, aber entspreche eben nicht den Ansprüchen des Bundesverfassungsgerichts.

Zudem stellt sich die nicht ganz neue Frage, wie geeignet die Streichung des Existenzminimums tatsächlich wäre, um den gesetzgeberisch erhofften Effekt – also eine Eingliederung in die Erwerbstätigkeit – zu erreichen. Auch dazu hat sich das Bundesverfassungsgericht im Urteil von 2019 ausführlich geäußert und die vorhandene Studienlage umfangreich ausgewertet: „Es liegen keine tragfähigen Erkenntnisse vor, aus denen sich ergibt, dass ein völliger Wegfall von existenzsichernden Leistungen geeignet wäre, das Ziel der Mitwirkung an der Überwindung der eigenen Hilfebedürftigkeit und letztlich der Aufnahme von Erwerbsarbeit zu fördern.“ Vielmehr sei im Lauf des Verfahrens „nachdrücklich darauf hingewiesen“ worden, „dass häufig kontraproduktive Effekte eintreten“. Etwa wenn der Wegfall von Leistungen zur Aufnahme von Schulden führt, die es Betroffenen noch schwerer machen, „ wieder in Erwerbsarbeit zurückzukehren und ihre Existenz selbst zu sichern“.

Mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen zur (Un-)Wirksamkeit von Totalsanktionen ist auch die Spiegel-Kolumnistin Ursula Weidenfeld vertraut. „Sachlich gibt es kaum gute Gründe, die Sanktionen im Bürgergeldsystem zu verschärfen. Sie werden niemanden dauerhaft in Arbeit bringen“, stellt sie fest. Und dann schreibt sie im vollen Bewusstsein der Nutzlosigkeit Heils geplanter Strafen: „Dennoch ist der Vorstoß überfällig“. Sie verweist auf einen von Heils ebenfalls sozialdemokratischen Vorgängern als Arbeitsminister: „Franz Müntefering hat es einmal so ausgedrückt: »Wer nicht arbeitet, soll nicht essen.« Das ist kein Populismus. Es ist Symbolpolitik, die nicht auf die Arbeitslosen, sondern auf die Beschäftigten zielt.“ Die Begründung? „Weil es jetzt um diejenigen geht, die Arbeit haben. Sie sollen bei der Stange gehalten werden, ihnen muss Solidarität und Bundesgenossenschaft signalisiert werden“, und zwar, „weil es auf sie ankommt“. Respekt sei nämlich nicht nur etwas, das Leistungsempfänger erfahren sollten.

Weidenfeld bemängelt, dass „der Abstand zwischen Stütze und Erwerbseinkommen auf gelegentlich kaum wahrnehmbare Summen geschrumpft“ sei. „Es macht eben oft keinen Unterschied mehr, ob jemand arbeitet oder nicht.“ Sie fordert in ihrem Artikel allerdings keinen höheren Mindestlohn, keine ausgeglicheneren Gehälter zwischen einfachen Arbeiter:innen und Vorstandchefs, die teils das 140-fache ihrer Angestellten verdienen. Weidenfeld will nutzlose Strafen für Menschen am Existenzminimum, damit sich der arbeitende Teil der Bevölkerung besser fühlt. Sie redet dem Nach-unten-Treten das Wort und will die Armen neidisch auf die noch Ärmeren machen.

Um so tragischer ist diese für große Teile der Ellenbogengesellschaft repräsentative Mentalität durch die fundamentale Krise der Lohnarbeit: Nachdem technische Errungenschaften den Einsatz menschlicher Arbeitskraft immer überflüssiger machen, wird das Ideal der Vollbeschäftigung immer absurder. „Mit den modernen Produktionsmethoden ist die Möglichkeit gegeben, dass alle Menschen sicher und behaglich leben können. Wir haben es stattdessen vorgezogen, dass sich manche überanstrengen und andere verhungern“, schrieb der Mathematiker und Philosoph Bertrand Russel vor über 80 Jahren und plädierte dafür, endlich mal gescheit zu werden. Doch aller Innovationen der Zwischenzeit ungeachtet sprechen sich Leitmedien-Kolumnen lieber dafür aus, den gesamtgesellschaftlichen Arbeitszwang mit sinnloser Schikane aufrechtzuerhalten. 


Audio: Thesen zum Verhältnis von Religion und Moderne

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von Lothar Galow-Bergemann

Modern sein kann auch, was vor der Moderne entstand – Religiöse Versprechen haben Vorteile vor den kapitalistischen – Religion steht für Unterwerfung und für Auflehnung – Religion könnte den Kapitalismus überleben – Gott und Wert sind keine Allesschlucker – Emanzipatorisches ist nicht integrierbar. Vollständige Textversion

Das Freie Radio 17grad Medien für den Rest hat den Text in der Sendung Religion und Moderne vertont, wofür wir uns ebenso herzlich bedanken wie für die Bereitstellung dieser Audiodatei.

Aus urheberrechtlichen Gründen veröffentlichen wir hier ausschließlich diejenigen Teile der Sendung, die unmittelbar den Text wiedergeben, gelesen von 17grad Medien für den Rest.

Hinweis: in der Originalsendung gibt es bei 23m17s (bis 27m58s) außerordentlich hörenswerte Fußnoten der Redaktion zur Rolle der Religion im Ukrainekrieg, insbesondere zur Russisch-Orthodoxen Kirche, die ein wichtiger Machtfaktor für das Putinregime ist.

Fallstricke der Emanzipation

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Autoritäres und Regressives in der Linken gestern und heute

Vortrag und Diskussion mit Lothar Galow-Bergemann

Dienstag, 16. April 2024, 19.30 Uhr, Köln

Bottmühle, Severinswall 32, 50678 Köln

Eine Veranstaltung von Polaris Gruppe für materialistische Gesellschaftskritik, SJ – Die Falken KV Köln und StAVV Studierendenausschuss

Alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. Besser lassen sich Anspruch und Programm menschlicher Emanzipation nicht auf den Punkt bringen. Wenn der Begriff Links Sinn hat, dann diesen. Oft sehen linke Theorie und Praxis jedoch ganz anders aus. Was längst überwunden sein sollte, lebt auch in vielen linken und linksradikalen Strukturen und Denkweisen fort: Die Herrschaft von Zwangsgemeinschaften und von Menschen über andere Menschen.

Das kann sich in Männlichkeitskult und sexistischem Verhalten äußern, in der Vorliebe fürs Agitieren statt fürs Argumentieren oder in der Vorstellung, antifaschistische Akteur*innen seien stets im Recht, was auch immer sie tun. Aber auch im Glauben, man sei zur „Führung der Arbeiterklasse“ berufen. Der Griff in die Mottenkiste staatssozialistischer Parteidiktaturen und Sympathie für autoritäre Führergestalten wie Lenin liegen da oft nahe. Der Glaube, „die Klasse und das Volk“ brauche eigentlich nur die richtigen Führer, korreliert zudem mit zwei ebenso absurden wie folgenreichen Fehleinschätzungen: Nationalsozialismus und Antisemitismus seien die Folge rechter Verführungskünste und bürgerlich-rechtsstaatliche Verhältnisse seien letztlich ebenfalls „faschistisch“.

Autoritäres lebt auch in einem „Antiimperialismus“, der den Westen grundsätzlich immer zum „eigentlich Schuldigen“ an internationalen Konflikten erklärt und dabei den Charakter autoritärer Regime ignoriert oder relativiert. Regressives kann sich auch in gut gemeinter antirassistischer Absicht verstecken. Unterordnung von Individuen unter Zwangsgemeinschaften gibt es auch in Form unreflektierter Verteidigung für sakrosankt erklärter „Kulturen“, denen Menschen zugeordnet werden. Und wo Antisemitismus als eine Art Rassismus missverstanden wird, ist man blind für eine wahnhafte „Welterklärung“, die in Krisenzeiten rasend schnell um sich greifen und zum mörderischen Flächenbrand werden kann.

Mit unverstandener Dynamik regressiver Krisenverarbeitung hat auch eine weitere Form des Autoritären zu tun: Die Projektion der faschistischen Gefahr auf ein vermeintlich Äußeres – häufig auf „den“ Islam. Einsichten in die Genese des Antisemitismus können so verschüttet und Distanz zu „rechtspopulistischen“ Positionen verloren werden.

Was unterscheidet Kapitalismuskritik von antikapitalistischem Ressentiment? Welche Mindestanforderungen müssen emanzipatorische Bewegungen erfüllen?

Lothar Galow-Bergemann begann 1971 in der Krankenpflege zu arbeiten und war aktiver Gewerkschafter und Personalrat im Klinikum Mannheim und im Klinikum Stuttgart. Er hält die Überwindung des Kapitalismus für dringender denn je, kennt aber auch die Verirrungen linker Holzwege und glaubt, man sollte aus ihnen lernen. Er schreibt u.a. für Jungle World und Emanzipation und Frieden





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